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Literatur Er stand auf der tschechischen Nationalstrasse und schlug los

Jaroslav Rudiš' Roman «Nationalstrasse» handelt von einen frustrierten Tschechen der prügelt, säuft und Naziparolen herausposaunt. Gleichzeitig erzählt der Autor von seiner Heimat Tschechien, wo die Angst vor Fremden gross ist. Ein packender Roman, der durch eine derbe, präzise Sprache besticht.

Man nennt ihn Vandam. Weil er 200 Liegestützen schafft. 200 Liegestützen am Stück. Wie der Action-Held Jean-Claude Van Damme. Darauf bildet er sich was ein. Denn Vandam hat alles im Griff: sich selbst, seinen Körper, seine Welt, seine Kraft und meistens auch seine unbändige Lust, jemandem die Fresse zu polieren.

Früher war das anders. Da war er Polizist. Er stand auf der Nationalstrasse, der Národni Třida in Prag, jener Prachtstrasse, die vom Wenzelsplatz zum Nationaltheater führt, und schlug los. Er löste etwas aus damit. Die Revolution vom 17. November 1989 geht auf ihn zurück. Denn er schlug als erster zu. Einer musste es ja tun. Die Demonstranten stürzten daraufhin das Regime. So geht Geschichte.

Zur Person

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Legende: Petr Hlousek

Jaroslav Rudiš, geboren 1972, ist ein tschechischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramatiker, der auch in deutscher Sprache schreibt. Bekannt wurde er durch seine Romane und Theaterstücke – und durch die Comicfigur Alois Nebel, die er gemeinsam mit dem tschechischen Rocksänger und Zeichner Jaromír Švejdík entwarf.

Auf der Suche nach Lebenssinn

Das war 1989. Jetzt ist er 25 Jahre älter. Aus dem Polizeidienst ist er entlassen worden. Stattdessen malt er die Dächer der Plattenbausiedlung an, in der er schon sein Leben lang wohnt. Wenn er damit fertig ist, beginnt er wieder von neuem. Und er sitzt in der Kneipe. In der Severka, was so viel wie «Polarstern» heisst. Dort trinkt er Bier, dort pflegt er seinen tschechischen Humor, wie er sagt, dort lernt er Sylva kennen, die neue Pächterin, seine Waldfrau. Und wenn per Zufall mal einer vorbeikommt, der nicht weiss, wie das Leben läuft, der was lernen will, der eine Erfahrung machen will, dann erledigt er das. Ein linker Haken zuerst – als Überraschung. Und dann eine gerade mit der Rechten. Das reicht meistens.

Vandam ist ein Arschloch. Man muss es so sagen. Aber das Buch über ihn ist grosse Klasse. Schlägt man es auf, legt man es nicht wieder weg. Das liegt an Vandam, den man sehr bald als Verlierer erkennt. Als armes Schwein, der kämpft wie blöde, um in seinem gescheiterten Leben ein bisschen Sinn zu sehen. Das liegt an der Sprache, die direkt, derb, aber unglaublich genau ist. Und das liegt am ganzen Drumherum. An dem, was Rudiš eigentlich sagt.

Die tschechische Angst

Denn Rudiš beschreibt Tschechien. Das Land, das mitten in Europa liegt und sich immer mehr abschottet. Seit hundert Jahren ist das schon so. Zuerst trennt sich das Land vom Rest der Donaumonarchie, dann werden die Juden vernichtet, dann die Deutschen vertrieben. Und sobald man wieder in der Lage ist, selbst was zu entscheiden, trennt man sich auch noch von den Slowaken. Jetzt sitzen die Tschechen mitten in Europa und sind allein. Sie fürchten sich vor Flüchtlingen, die nicht kommen. Die tschechische Angst. Dafür steht Vandam.

Stattdessen baut er eine tschechische Welt auf. Eine Gegenwelt mit kruden Mythen: der tschechische Wald, der böhmische Sumpf mit Wölfen, Kriegern, Ulmen. Alles tschechisch. Und er der letzte Römer, der das alles verteidigt.

Aber es geht schief. Wie damals, 9 nach Christus, als die Römer aufgerieben wurden im Teutoburger Wald. So geht’s auch ihm. Zwei Polizisten nehmen in mit und schlagen ihn zu Brei. So etwas kommt vor. Und am Schluss liegt Vandam in seinem eigenen tschechischen Wald und verreckt. Klar! Denn wer gewinnt schon jeden Kampf? Selbst Vandam knickt mal ein wie die beiden Klitschen in New York, wie er es nennt. Und dann ist’s vorbei. Da hilft auch Adolf Hitler nicht weiter, von dem er es eigentlich erhofft hat.

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