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Literatur Hilary Mantel: «Ich war 27 und eine alte Frau»

Hilary Mantel, die wichtigste britische Schriftstellerin der Gegenwart, hat ihre Autobiografie geschrieben: «Von Geist und Geistern» erzählt von den Kindern, die sie nie bekommen hat, von verpassten Entscheidungen und Möglichkeiten. Grosser Lesestoff, ebenso eigenwillig wie eindrucksvoll.

Zufällig sieht Hilary Mantel aus dem Fenster ihrer Wohnung, als die Premierministerin Ihrer Majestät die Strasse in Windsor überquert. Margaret Thatcher ist zu einer Augenoperation in der Klinik. Jetzt verlässt sie das Gebäude und tritt auf die Strasse.

Von Wölfen und Falken

Hilary Mantel sieht die Situation – und aus der realen Szene wird eine Erzählung. Der Titel: «Die Ermordung Margaret Thatchers». Das Thema ist eine böse Phantasie, ein Attentat der IRA auf die die frühere britische Premierministerin Thatcher.

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Mehr zu den wichtigsten Büchern im Mai gibt's im «Literaturclub»: Dienstag, 12. Mai, 22:20 Uhr, SRF 1.

Bis zuletzt macht das Skandal in England und auf dem Kontinent. Ein Skandal über eine Szene, die 30 Jahre zurückliegt und eine Erzählung, die im letzten Jahr erschien. Mit ihren beiden Romanen «Wölfe» und «Falken» wird Mantel berühmt. Wie auf der Grossleinwand im Kino hat sie den Gründungsmythos der Briten erzählt: die Tudors, «bigger than life», Aufstieg und Fall Thomas Cromwells, die Epoche Heinrich VIII. als grosser Romanstoff.

Das Buch über ihr Leben

Doch jetzt gibt es Neues von der zweimaligen Booker-Preisträgerin und bekennenden Tory-Gegnerin. In ihrem neuen Buch «Von Geist und Geistern» spricht sie von sich und erzählt aus ihrem Leben. Unsentimental, voller Scharfsinn und Sarkasmus. Von einem Leben, das sich zuerst wie eine Gefangenschaft anfühlt, mit Mutter, Vater und Stiefvater Jack unter einem Dach.

Es herrscht eine Atmosphäre von Geheimnis und Bedrohung. Gelebt wird nach Regeln, die dem Kind unklar, undurchsichtig scheinen. Es ist armes, katholisches Milieu, hart und eng, Klosterschule inklusive, aus dem Mantel stammt. Sie wächst in Hadfield auf, bei Manchester, bevor sie die Städte, Wohnungen und Länder häufig wechselt.

Geist und Geister

Buchhinweis

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Hilary Mantel: «Von Geist und Geistern.» DuMont Verlag, 2015.

Erste Station ist London, ein Jura-Stipendium an der London School of Ecomics verhilft ihr dazu. Sie ist begabt, ehrgeizig, voller eigener Pläne. Sie heiratet einen Geografen und zieht erst nach Sheffield, später zusammen mit ihrem Mann für fünf Jahre nach Botswana und für vier Jahre nach Dschidda, Saudi-Arabien.

Mit 19 wird sie krank. Es beginnt schon an der Uni: unerträgliche Schmerzen, zahllose Fehldiagnosen. Sie nimmt Unmengen Tabletten, von Aspirin bis Psychopharmaka, und wird von Arzt zu Arzt weitergereicht. «Ich war 27 und eine alte Frau», schreibt sie, als sie endlich die richtige Diagnose hat: Unterleibswucherungen, «Endometriose». Zahlreiche Operationen und neue Schmerzen folgen, dann körperliche Veränderungen, die Mantel an die späteren Aufenthalte in Afrika und Dschidda begleiten.

Witz und Ironie

Ihre Traumata erzählt sie mit Ironie und einiger Distanz zu sich selbst. Nie ist sie die Schmerzensfrau, die sie auch sein könnte. Kinder kann sie keine mehr bekommen nach ihrer Erkrankung, so viel ist sicher. Auch dieses Trauma umspielt sie mit Witz und Distanz.

Sie spricht von Geist und Geistern, den Kindern, die sie nie bekommen hat, von verpassten Möglichkeiten, verpassten Entscheidungen. «Ich hätte eine Schulmädchenmutter werden sollen», denkt sie. In Afrika ist sie mehrfach dem Tod nah und ihr Zuhause in Dschidda empfindet sie als ein komfortables Gefängnis.

Zurück in England bekennt Mantel, etwas «spooky» zu sein. Sie sieht zuweilen Gespenster, den Geist ihres verstorbenen Stiefvaters etwa, und sie erwähnt es beiläufig am Anfang und am Ende dieser überaus eindrucksvollen Autobiografie. Das britische Original «Giving up the Ghost» erschien bereits 2003 – da waren ihre grossen Romanerfolge über die Tudors noch nicht geschrieben.

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