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Milo Rau «Ich hatte immer den Wahn des Bibliophilen zur Vollständigkeit»

Der «Literaturclub» hat einen neuen Kritiker: Milo Rau. Der Schweizer Theatermacher verrät, wie er nebenbei über 2000 Seiten Zusatzlektüre bewältigt. Und erinnert sich an entscheidende Leseerlebnisse.

SRF: Wann haben Sie zum ersten Mal Karl Marx gelesen?

Milo Rau: Da war ich 12 Jahre alt, denke ich. Das war «Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte» – die Beschreibung eines Staatsstreichs. Ein unglaublich spannendes Buch. Eigentlich wie eine Action-Reportage mit Hintergründen.

Milo Rau

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Er hat der «Weltwoche» den Prozess gemacht. Oder den Schauprozess gegen das rumänische Diktatorenpaar Ceaucescu rekonstruiert. Für seine viel beachteten Texte, Theater und Filme reist Milo Rau um die halbe Welt. Aktuell inszeniert er «Die 120 Tage von Sodom» am Schauspielhaus Zürich.

Marx schreibt wirklich hervorragend! Er war ja eigentlich Journalist – ein Pamphletiker. Erst später wurde er dann zu diesem Langweiler, der «Das Kapital» schrieb. Aber am Anfang verfasste er diese grossartigen kleinen, dünnen und schnellen Bücher.

Viele Sätze habe ich mir bis heute gemerkt. Das beginnt mit dem berühmten Satz: «Alles ereignet sich zweimal: das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce».

Welches ist das erste Buch überhaupt, das Ihnen in Erinnerung geblieben ist?

«In Stahlgewittern» von Ernst Jünger – da war ich vielleicht 10. Also in dem Alter, in dem man zu lesen beginnt. Hermann Hesse oder so. Ich hab dann Ernst Jünger gelesen.

Jünger war ein Bekannter meines Grossvaters – der ist ja unglaublich alt geworden – und so habe ich den damals kennengelernt. Das hat einen unglaublichen Eindruck auf mich gemacht: Das Buch eines Kriegsbesessenen über den vielleicht schlimmsten Krieg überhaupt – den 1. Weltkrieg.

Das ist mir lange nachgegangen. Ich hab es auch zwei oder dreimal wieder gelesen später.

Video
Duftnote – Milo Rau über Peter von Matts «Sieben Küsse»
Aus Kultur Extras vom 01.02.2017.
abspielen. Laufzeit 21 Sekunden.

Bei Ihrem Arbeitspensum nochmal 2300 Seiten für den «Literaturclub»: Verraten Sie uns doch mal Ihre Lesetechnik.

Ich habe sehr viel über Weihnachten gelesen. Man muss teilweise schon bewusst schnell lesen. Und man muss sich auch schnell von der Idee lösen, dass man sich ständig kleine Kommentare ausdenkt, die man dann im «Literaturclub» bringen kann. Um den Spass am Lesen nicht zu verlieren.

Was liest man eigentlich zur Entspannung, wenn man «Die 120 Tage von Sodom» inszeniert?

Ich lese sehr viel Zeitung. Auch die Bücher vom «Literaturclub» waren tatsächlich eine Entspannung. Abends noch 100 oder 200 Seiten Paul Auster: Das wirkt schon auch entspannend.

Und für das Theater selbst? Müssen Sie da nicht auch noch was lesen?

Ich lese viele Theaterstücke. Und Hintergrundbücher für meine eigenen Stücke – meistens Sachbücher, geschichtliche Bücher. Auch das ist Entspannung! Ich habe auch einen Hang zum bürgerlichen Roman.

Das Verfolgen eines Lebenslaufs: 100 oder 200 Seiten «Anna Karenina» sind noch viel entspannender als Paul Auster! Das kann ich wirklich empfehlen, um das Hirn und die Seele mal ganz reinzuwaschen.

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Müssen die Bücher, die Sie lesen, Holzfasern enthalten?

Ja! Ich bin ein Freund der Bücher, der Bibliotheken. In dem Haus, in dem ich wohne, ist in jedem Zimmer irgendwo eine Bücherwand. Ich sammle Bücher, seit ich sieben, acht Jahre alt bin.

Ich hatte auch immer den Wahn des Bibliophilen zur Vollständigkeit. Ich versuche, alles in Buchform zu kriegen. Mit diesen E-Book-Readern hab ich mich nie anfreunden können.

Welche Bücher lesen Sie Ihren Töchtern vor?

Lustigerweise auch die, die ich als Kind gelesen habe: «Das kleine Gespenst». «Die Töpfchenhexe» habe ich mit grosser Freude wiederentdeckt. «Hotzenplotz». Und aktuell gerade «Dr. Doolittle».

Ich versuche schon, den üblen Trash zu vermeiden, den es ja auch gibt. Vielleicht erkennt man da meinen konservativen Geist, der mich am Ende auch zum «Literaturclub» gebracht hat. Dass ich die Bücher aus den 1970er- und 1980er-Jahren meinen Töchtern aufdränge. Obwohl die vielleicht lieber «Warrior Cats» hören würden.

Das Gespräch führte Markus Tischer.

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