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Literatur «Ich mache gute Erfahrungen als ‹weiblicher Mann›»

In «Die Erziehung des Mannes» beschreibt Autor Michael Kumpfmüller die Odyssee seines Helden Georg, der von Beziehungsstürmen und Sorgerechtsstreitigkeiten arg durchgeschüttelt wird. Ein männlicher Blick auf den Geschlechterkampf – ohne Larmoyanz und Anklage.

  • Michael Kumpfmüller neuer Roman ist eine Parabel auf das heutige Mann-Sein
  • Der Autor beschäftigt sich mit überholten Klischees und neuen Rollenbildern
  • Der Roman ist eine Aufarbeitung, keine Abrechnung und deshalb nicht nur für eine männliche Leserschaft geschrieben

Heirat, Affäre, Scheidung, Streit

Etwas kann man Georg nicht vorhalten: dass er über mangelnde Loyalität oder fehlendes Ausharrungsvermögen verfügt. Nach seiner ersten grossen Liebeserfahrung mit Theres gerät er an eine Freundin, die sieben Jahre lang nicht mit ihm ins Bett will. Kein Wunder wird er eines Tages schwach und wechselt zu Julika, einer Pädagogik-Studentin.

Die beiden heiraten und gründen eine Familie, aber das häusliche Glück will sich nie so richtig einstellen. Nach einer Affäre, die Georg mit einer Kollegin eingeht, kommt es zur Scheidung. Es folgt ein jahrelanger Streit um Sorgerecht und Unterhaltszahlungen, aber Georg wird für sein Engagement als einfühlsamer Vater reich beschenkt: Der Draht zu seinen drei Kindern ist eng und trägt auch dann noch, als sie längst auf eigenen Beinen stehen.

Michael Kumpfmüller

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Legende: Joachim Gern

«Die Erziehung des Mannes» ist der fünfte Roman des in Berlin lebenden Münchners. Bekannt wurde Kumpfmüller mit seinem kontorvers rezipierten Buch «Hampels Fluchten» (2000), das im geteilten Deutschland der 1950er Jahre spielt. Für «Nachricht an alle» (2008) wurde Kumpfmüller noch vor Erscheinen des Romans mit dem Döblin-Preis ausgezeichnet.

Erziehungsroman mit Happy End

Das Schicksal treibt den Komponisten und Musikwissenschaftler später wieder in die Arme seiner ersten Liebe, zu Theres. Jetzt, im Alter von 65 Jahren, zieht Georg selbstkritisch Bilanz und lässt letztlich doch mildernde Umstände gelten. «So gesehen ist es ein typischer Erziehungsroman und der hat immer ein Happy End», fasst Michael Kumpfmüller zusammen.

Kumpfmüller hat selber Kinder aus zwei verschiedenen Ehen und kennt die Wirrnisse, denen Männer und Frauen heute oft begegnen. Erfahrungsberichte von Freunden und Bekannten sind in dieses Buch eingeflossen.«Jedes Paar, vor allem wenn es Kinder hat, steckt in einer Situation der Ressourcenknappheit», ist Kumpfmüller überzeugt.

«Es geht immer um Zeit, Geld und um die Anerkennung des anderen». Diese Ressourcenkämpfe seien unvermeidlich, weil das moderne Leben unweigerlich zu Überforderungsgefühlen führe. «Auseinandersetzungen finden statt. Die Frage ist nur, wie sie geführt werden.»

Glaubwürdige Geschichte

Die Lebensreise des modernen Odysseus Georg ist eine Variante von vielen. Genau darin liegt die Stärke dieses Romans: Dass uns Michael Kumpfmüller hier keine Thesen um die Ohren haut, sondern eine glaubwürdige Geschichte erzählt.

Er vertraut dabei auf die bewährte Kraft der Literatur: dass wir am Beispiel anderer in einen Spiegel schauen und erkennen, wie sie sich der Krise gestellt haben. «Die Erziehung des Mannes» lässt sich also als Parabel auf das heutige Mann-Sein lesen: unterhaltsam, hintergründig und erfrischend ehrlich.

«Eine problematische Triebnatur»

Die intensive Beschäftigung mit modernen Männerbildern habe ihm bewusst gemacht, welche überholten Klischees immer noch in unseren Köpfen herumspuken: «Der Mann ist für viele nach wie vor ein zusammengepapptes Teil aus einer problematischen Triebnatur – er will immer nur Sex – und er hat primär die Macht. Statistisch wissen wir über den Mann, dass er früher stirbt und mehr Herzinfarkte bekommt. Zudem kann er nicht über Gefühle sprechen. An diesen Bildern ist ja nun einfach alles falsch.»

Buchhinweis

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Michael Kumpfmüller: «Die Erziehung des Mannes», Kiepenheuer und Witsch, 2016.

Der «weibliche» Mann

Michael Kumpfmüller ist überzeugt, dass ein Mann in erster Linie Mensch ist. Sicher gebe es noch einen Rest-Unterschied zu den Frauen, und der solle auch nicht verschwinden: «Das ist dann der Kern des erotischen Spiels, wo der Unterschied sozusagen charmant wird.» Aber wenn es dann darum gehe, zu leben – als Paar sozusagen – sei es gut, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass wir alle im Alltag verschiedene Rollen spielen.

Michael Kumpfmüller bedauert, dass der Appell an den Mann, er solle endlich weiblicher werden, sich am Schluss zum Bumerang entwickelt hat: «Eine Verweiblichung des Mannes hat stattgefunden. Und schon werden ‹Softies› gleich als Weicheier verschrien.»

Er selber habe sich diesem Befehl der Emanzipationsbewegung auch gebeugt; heute sehe er dieses «Weibliche» jedoch zunehmend als seine Stärke an, weil er ja das Männliche gleichwohl behalten habe. Sein Fazit: «Ich mache gute Erfahrungen als ‹weiblicher Mann›.»

Aufarbeitung statt Abrechnung

Die Perspektive der Frauen auf den Geschlechterkampf ist in den letzten Jahrzehnten hundertfach in der Literatur thematisiert worden. Erst langsam beginnen auch Männer, ihre Sicht publik zu machen. «Die Erziehung des Mannes» von Michael Kumpfmüller ist dafür ein gelungenes Beispiel.

Es ist dem Autor hoch anzurechnen, dass er den Roman als Aufarbeitung und nicht als Abrechnung verstanden hat. So bietet er nicht nur der männlichen Leserschaft viel Identifikationsfläche für eigene Erfahrungen.

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