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Märchenhaft Erzähl mir was: Märchen wandern um die Welt

Auf allen Erdteilen erzählen Menschen Märchen – seit Jahrhunderten. Figuren wie der gestiefelte Kater sind einmal rund um den Globus gewandert. Wir kennen den Kater von den Brüdern Grimm. Nur: Was haben Kater & Co mit den Grimms zu tun?

Wer von Märchen spricht, kommt um die Brüder Grimm nicht herum. Ihre Kinder- und Hausmärchen sind das erfolgreichste Buch deutscher Sprache. Das «Es war einmal» zählt wie das «Amen» in der Kirche zu den bekanntesten sprachlichen Formeln. Mit ihrer Märchensammlung haben die Grimms kulturell prägend gewirkt – weit über den deutschen Sprachraum hinaus.

Märchenhaft

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Feen, Trolle, dunkle Wälder: SRF führt Sie eine Woche lang ins Märchenland – in Radio, Fernsehen und online. Vom 2. bis 9. Dezember 2015 blicken auf zu verzauberten Schlössern und hinunter in die Abgründe des Bösen. Wir schauen zurück und fragen: Was verraten Märchen heute über uns selbst?

www.srf.ch/maerchenhaft

Der Kater wandert von Italien nach Kassel

Mit ihrem Erfolg haben sie allerdings auch einiges niedergewalzt. Die erste Hochkonjunktur der Märchen im Barock ist heute so gut wie vergessen. Autoren wie Giambattista Basile in Italien und Charles Perrault in Frankreich hatten als erste Volksmärchen gesammelt und literarisch aufbereitet. Perrault hatte schon beim Italiener Basile abgekupfert, die Grimms wiederum bedienten sich aus dem Fundus von beiden.

So wanderte, um ein Beispiel zu nennen, der gestiefelte Kater von Italien über Frankreich zu den Kassler Märchensammlern und von dort in die deutsche Hausstube. Was dabei vor allem verloren ging, war die unbändige Lust am Fabulieren und an sinnlichen Schilderungen, mit der vor allem Basile seine Geschichten erzählte.

Erotik in den Märchen

Bei Basile geht es noch um einiges deftiger und erotischer zu als bei den Grimms. Sex sells? Der Erfolg der Grimms scheint das Gegenteil zu beweisen: Von Auflage zu Auflage wurden ihre Märchen immer zahmer. Sexuelle Anspielungen schwächte das Brüderpaar ab, was sonst anstössig schien, wurde geglättet. Waren die barocken Märchensammlungen für eine genusssüchtige Feudalgesellschaft verfasst, schufen die Grimms eine Märchenwelt für das biedermeierliche Bildungsbürgertum. Die Zeiten von Libertinage und Mätressen waren passé.

Die Grimm'schen Märchen bedienten das Ideal einer gesitteten Welt, in der die Familie und vor allem die liebende Mutter als moralische Anstalt fungierten. Verführerische Frauen passten nicht ins Bild, wirkten als Bedrohung für die heimische Idylle am Herd. So sind es bei den Grimms denn auch immer die bösen Stiefmütter, die in Konkurrenz zu ihren hübschen Stieftöchtern stehen. Die heile Familie mit der leiblichen Mutter bleibt von solchen Verwerfungen unberührt.

Do you speak Märchen?

Märchen werden überall auf der Welt erzählt. Die Motive und Muster sind rund um den Globus dieselben. Ob in den Schneewüsten Sibiriens oder den Bibliotheken der Metropolen – es sind dieselben Archetypen, die die Menschen in Bann ziehen.

Volkskundler und Märchenforscher haben die Motive im «Aarne-Thompson-Uther-Index» systematisch erfasst. Märchen sind eine Art Weltsprache, überall verständlich, über den eigenen Kulturkreis hinaus.

Knüppel aus dem Sack

Gerechtigkeit und der Sieg des Guten sind eines der Leitmotive. Doch Märchen haben auch eine dunkle Seite. Sie kennen zwar eine Moral, aber sie zelebrieren zugleich lustvoll Gewalt. Der Strafenkatalog der Märchen scheint von Sadisten ersonnen. Da werden Menschen die Hände abgehackt oder die Augen ausgepickt. Wenn Schneewittchens Stiefmutter sich am Ende in glühenden Pantoffeln zu Tode tanzen muss, bedient das grellste Rachefantasien. Ebenso abgründig wie unergründbar.

Dieser leichtfertige Umgang mit Tod und Gewalt gehört ganz wesentlich zu den Märchen. Eigentlich müsste man warnen: nicht jugendfrei! Aber es hilft nichts, es ist Teil ihres Reizes. Und zum Glück kann man immer noch sagen: Ist ja nur ein Märchen.

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