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Literatur Raoul Schrotts Epos beginnt ganz am Anfang: mit dem Urknall

Raoul Schrott hat mit «Erste Erde Epos» den grossen Versuch gewagt, wissenschaftliche Erkenntnisse literarisch umzusetzen. Bei uns ist er heute im «Literaturclub» zu Gast. Von seinem Schreibtisch aus hat er im Vorhinein über unsere Fragen nachgedacht – und uns Antworten geschrieben.

SRF Kultur: An Ihrem «Erste Erde Epos» haben Sie sieben Jahre gearbeitet, viele Reisen dafür unternommen. Was stand am Anfang Ihrer epischen Unternehmung?

Zur Person

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Der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Raoul Schrott ist ein Grenzgänger zwischen Welten. Er hat die Hirnforschung mit der Poesie verknüpft und die «Ilias» von Homer und das Gilgamesch-Opus übersetzt.

Raoul Schrott ist Gast in der Sendung «Literaturclub» am 11. Oktober 2016 um 22:20 Uhr auf SRF 1.

Raoul Schrott: Die Recherche. Sich durch Festmeter an Fachliteratur lesen, um Anknüpfungspunkte zu finden – und dann die Orte, die für die Stationen der Weltgeschichte stehen können. Wo gibt es das älteste Gestein? Wo den ersten Fussabdruck eines Menschen? Um dabei chronologisch vorzugehen, muss man leider mit dem Urknall beginnen, dem Unvorstellbarsten also.

Ist der poetische Versuch, den Urknall zu erzählen, Ihre Antwort auf die «Entzauberung der Welt» von Max Weber?

Das mythische Zeitalter ist vorbei, ausser wir fallen bald wieder zurück. Doch deswegen sehe ich die Welt – und die Wissenschaften allzumal – weniger entzaubert, denn sie ist weit enigmatischer geworden. Das Universum ist in seiner Majestätik und seinem Mysterium, seiner Leere und seiner Gleichgültigkeit weitaus erhabener als alle hinlänglichen Ideen irgendeines Gottes.

Wir verfügen über so viel Wissen wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Wird dieses Wissen erst dann begreifbar, wenn man es erzählen kann?

Die Bücher im «Literaturclub»

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Ja. Wir denken in Geschichten – selbst wenn wir wollen, können wir nicht anders. Auch die Ableitung einer mathematischen Formel ist letztlich eine Geschichte von Schritten, Ver- und Umwandlungen, überraschenden Einschüben – um am Schluss zu einem Ist-Gleich zu kommen. Zu diesem Erzählen gehört aber auch das «Ist-Gleich» einer Metapher – die durch die Kunst ihres Vergleichs abstrakte, theoretische Prozesse und Erkenntnisse erst anschaulich, sinnlich fassbar, ja überhaupt erst denkbar zu machen versteht.

Und dann gehört zu diesem Erzählen vor allem eines, das nicht die Aufgabe der Wissenschaften ist, sondern der Vorrang von Literatur: Nämlich nach der Relevanz all des neuen Wissens für uns zu fragen. Welche Bedeutung hat es für einen? Welche Ethiken lassen sich davon ableiten? Wie verortet es uns im Universum?

Was sollen wir mit diesem Wissen anfangen? Geht es Ihnen darum, eine Verantwortung, eine Moral zu entwickeln?

Ich habe keine Antworten für ein «wir», keine uns alle umfassenden Entwürfe. Ich habe dieses Buch für mich geschrieben, um für mich herauszufinden, wie sich all das neue an Weltzugängen begreifen lässt: für mich, hier, jetzt.

Ich habe dabei durch die Masken der verschiedensten Figuren in den sozusagen 28 Kurzromanen dieses Epos geblickt, um immer wieder neue Blickwinkel auf die Natur und den Menschen zu erfahren. Um dabei verschiedenste existentielle Positionen durchzuspielen, gläubige wie ungläubige, zweifelnde, poetische, prosaische ...

Aber dabei habe ich gemerkt, dass ich das stellvertretend für alle tue: für meine Töchter, Freunde, den Leser, Sie. Um ihnen zu zeigen, auf wieviele völlig überraschende Weisen wir den Menschen neu denken müssen.

Welche Verantwortung, welche Moral daraus zu ziehen ist, ist eine gesellschaftliche Frage, die über mich hinausgeht. Ich habe zwar, wenn Sie so wollen, eine moderne Genesis geschrieben. Aber ich bin deswegen weder Prophet noch Religionsstifter.

Welche poetische Expedition reizt Sie als nächste?

Buchhinweis

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Raoul Schrott: «Erste Erde Epos.» Hanser, 2016.

Das ist eine sehr den Zeitgeist verratende Frage, die bezeichnend ist. Weil sie, die Abwechslung des immer Neuen, Nächsten an die Stelle eines Standpunkts, eines Sinns setzt. Bezeichnend auch dafür, dass das, was Religion tut – im Sinne von re-ligio: der Anbindung an die Welt – verloren gegangen ist, ersetzt allein durch diese Irrläufe eines immer wieder neuen, anderen Reizes.

Ich hab mit dem Buch versucht, existentielle Positionen zu markieren. In den unterschiedlichen fiktiven Figuren liessen sie sich leicht bündeln und verhandeln. Ich selbst aber werde noch lange damit zu tun haben, all das, was ich durch die Arbeit an dem Buch erfahren habe, zu internalisieren und es für mich auf den Punkt zu bringen: auf die Mitte in der Welt, auf der ich mich behaupten kann – gegen sie und in ihr.

Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

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