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«Schlafgänger» von Dorothee Elmiger
Aus Literaturclub vom 18.03.2014.
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Schweizer Buchpreis Was hindert uns daran, die schläfrige Schweiz wachzurütteln?

Dorothee Elmiger macht es ihren Lesern nicht einfach. Ihre Literatur ist sperrig, aber trifft den Puls der Zeit. Ihr Thema: Die Schweiz und die Migration. Elmigers zweiter Roman «Schlafgänger» spürt den Untergrundströmungen nach, welche unsere Gesellschaft durchziehen.

Wer in Elmigers Roman «Schlafgänger» einen konkreten Erzählstrang sucht, wird nicht fündig. Das Buch ist vielmehr ein Geflecht von Stimmen, die alle über ein Thema räsonnieren: Das Flüchtige, die Flucht und am Ende oft den Fall.

Sendehinweis

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Die Autorin kombiniert Zitate, Beobachtungen, Gedanken, fügt Wirkliches an Erfundenes. Oft brechen Perspektiven jäh ab, so dass Sequenzen mit grosser eigener Aussagekraft entstehen: «Nahe der Reuss in Luzern wird der Festgenommene in eine Nebenstrasse gezerrt und liegt dann auf dem Asphalt, während in der Küche das Wasser kocht, dann der Tee aufgebrüht wird...»

Dorothee Elmigers Blick führt weit über die Schweiz hinaus. Emigration ist ein globales Problem und äussert sich in den USA oft ähnlich wie in der Schweiz. Eine gewisse A. L. Erika berichtet zum Beispiel aus Los Angeles: «Auch tagsüber … sah ich die Schlafenden, sie lagen an den Rändern der Strasse, auf Ladeflächen, oder sie sassen auf einer Bank … und schliefen.»

Bedeutung des Titels

Die Nominierten

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«Schlafgänger» waren im 19. Jahrhundert Menschen, die sich kein eigenes Bett leisten konnten und sich tagsüber in privaten Haushalten ein solches mieteten.

Der unruhige Schlaf als Folge des ruhelosen Lebens der Migranten ist die Grossmetapher dieses Romans. Der Schlaf ist Ausdruck der Lethargie und davon, dass diese Menschen keiner Arbeit nachgehen dürfen. Deswegen verfallen sie in einen schlafwandelnden Dauerzustand. Elmiger kleidet dies so: «…die Kontinente reichten ins Meer hinein, meine Augen öffneten und schlossen sich, als atmeten sie mitsamt Körper, als sei ich im Begriff, für lange Zeit zu verschwinden.»

Verweis auf Sozialutopien

Die Autorin spricht auch die Sozialgeschichte an. 1855 wurde in Texas eine Kolonie namens «La Réunion» gegründet. Man wollte dort ein Gesellschaftsmodell im Geiste des Frühsozialisten Charles Fourier entwickeln, das bald scheitern sollte. Ein Fiasko erlebte auch der holländische Konzeptkünstler Bas Jan Ader, der 1975 die Atlantiküberquerung in einem Segelboot nicht überlebt hat.

Dorothee Elmiger

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Dorothee Elmiger – Audio, Lesung, Bilder und Video auf ansichten.ch, das Literaturportal von SRF.

So steht im Hintergrund unserer gegenwärtigen Flüchtlingsströme das Fanal des Scheiterns, des Fallens. Elmiger bringt also die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zusammen, die auch in die Körper der Flüchtlinge eingeschrieben ist.

Also die Schweiz

Was hindert uns eigentlich daran, scheint Dorothee Elmiger zu fragen, dieses schläfrige Land wachzurütteln. Die Autorin stösst mit ihrem in immer neue Richtungen hin offenen Text in die Zwischenräume von Politik und Gesellschaft vor.

Sie löst mit der Fusion von Fiktion und Realität Empathie aus. Dies ist ein wichtiger Baustein fundierter Problemlösung. So hilft diese junge Schriftstellerin uns zu benennen, was uns bisher nur schwante. Dies ist durchaus auch als Mahnung zu verstehen.

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