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Literatur Wer in Ägyptens Literaturszene arbeitet, muss improvisieren

Hebba Sherif kennt den Literaturbetrieb in Ägypten gut. Als Leiterin des Pro Helvetia-Büros in Kairo pflegt sie den Kontakt zu den ansässigen Autoren und organisiert Veranstaltungen. Zwar sei die Literaturszene heute bunter als früher – doch freier sind die Autoren auch nach der Revolution nicht.

SRF Kultur: Hat sich die Literaturszene in Ägypten seit der Revolution verändert?

Hebba Sherif: Die Literaturszene in Ägypten ist heute bunter als vor der Revolution. Neue Verlage und Buchhandlungen sind entstanden. Neue Literaturpreise haben sich etabliert, wie beispielsweise der arabische Booker-Preis. Neue Autoren haben begonnen zu schreiben. In Kairo gibt es heute Lesungen mit Buchsignierungen – die Leserschaft stürzt sich auf solche Events, denn früher gab es so etwas nicht. Auch interessieren sich heute viel mehr junge Leute für Literatur. Autorinnen und Autoren gehen neue Wege und schreiben nicht nur traditionell, sondern auch unterhaltsam.

Es gibt also einen Leseboom im Bereich der Unterhaltungsliteratur?

Ja, die Autorinnen und Autoren haben sich von den traditionellen Erzählweisen wegbewegt. Sie haben gelernt, unterhaltsam zu schreiben und damit Leserschaft anzuziehen. Dazu gehören ein guter Plot und ein guter Aufbau, leichte Sprache und Themen, die aus dem Alltag gegriffen sind. Das bedeutet aber nicht, dass solche Literatur anspruchslos ist.

Literatur in Ägypten ist heute vielfältiger und zugänglicher geworden. Welche Rolle spielt dabei Pro Helvetia Kairo?

Pro Helvetia Kairo versteht sich als eine Stelle, die den kulturellen Austausch und Dialog fördert. Hier in Kairo stellt Pro Helvetia nicht nur die Finanzen. Wir organisieren Veranstaltungen und begleiten Projekte von Anfang bis zum Schluss. Denn in der aktuellen politischen Situation ist nicht vorhersehbar, was morgen sein wird: Ob es eine Kulturinstitution überhaupt noch gibt, ob eine Bewilligung nicht doch plötzlich entzogen wird. Oder ob nicht plötzlich ein Autor im Gefängnis landet. Es braucht daher in Ägypten immer viel Improvisation und immer einen Plan B.

Sie sind in Kairo aufgewachsen und leben auch dort. Wie ist Ihr Eindruck: Wann waren Autorinnen und Autoren freier, vor oder nach der ägyptischen Revolution?

Verändert hat sich nichts. Auch unter Präsident Hosni Mubarak gab es Einschränkungen und Probleme mit der Meinungs- und Ausdrucksfreiheit. Es gibt ein Gesetz in Ägypten, das der Blasphemie. Dieses Gesetz ermöglicht jeder Person, einen Autor vor Gericht zu bringen, wenn dieser in seinem Buch mit einem Tabu wie Religion oder Sexualität bricht. Dieses Gesetz hat es schon immer gegeben. Wir haben versucht, nach der Revolution das Gesetz abzuschaffen. Ohne Erfolg. Es wird wohl weiter bestehen, weil nicht das politische Regime, sondern religiöse Institutionen im arabischen Raum das Sagen haben. Sie bestimmen darüber, was falsch oder richtig ist.

Wie könnte man diese Situation verändern?

Das ist schwierig zu beantworten. Die Menschen müssen sich für Ausdrucks-, Meinungs- und Glaubensfreihei einsetzen. Sie müssen für dieses Prinzip kämpfen. Dafür, dass Gesetze nicht andere Weg gehen. Das wird ein langer Kampf. Die Leute müssen lernen zusammenzuhalten und nicht nur jemanden zu verteidigen oder zu unterstützen, der gleich denkt wie sie. Es muss egal sein, ob jemand liberal ist, Islamist, Sozialist oder links. Das Prinzip als solches ist wichtig. Ausdrucksfreiheit, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit müssen für alle gelten, aber leider sind sich da die Leute nicht einig. Selbst Intellektuelle, Politiker, Oppositionelle, Schriftsteller, Journalisten oder Fernsehmoderatoren haben ihre Glaubwürdigkeit verloren, weil sie sich nur für Gleichdenkende einsetzen. Das muss sich ändern.

Es müsste sich also eine Koalition gegen dieses Gesetz bilden?

Ja, genau das. Die Leute müssen begreifen, dass wir alle gefährdet sind, wenn unser Recht auf Meinungsfreiheit gefährdet ist. Das müssen wir in Ägypten von Grund auf lernen. Diese Selbstverständlichkeit ist uns – historisch betrachtet – fremd.

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