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Musik Arvo Pärts melancholische Musik beschwört die Welt

Die einen schätzen die Musik von Arvo Pärt, die anderen lehnen sie ab. Kalt lassen diese sanften, reduzierten Klangmeditationen mit ihren schlichten Strukturen aber niemanden. Mit ihnen ist der Este Arvo Pärt zu einem der meistaufgeführten Komponisten unserer Zeit geworden.

«Gott ist stärker als wir, auch die Tonalität ist eine unbestreitbare Wahrheit.» Mit solchen Worten hat Arvo Pärt die fortschrittsgläubige Gemeinde der Neuen Musik provoziert und die nach Wohlklang Schmachtenden unter uns eingefangen – und Werke wie «Fratres», «Credo» oder «Tabula Rasa» komponiert. Einen solchen «reinen Tisch» hat er in seiner Musiksprache selbst gemacht – und zwar gründlich.

Ein junger Wilder, fasziniert von neuen Wegen

Denn angefangen hatte er ganz anders: Als er in den 1950er-Jahren mit seinem Kompositionsstudium begann, orientierte er sich an Bela Bartók, Sergej Prokofjew oder Dimitri Schostakowitsch, die schon Jahre vor ihm auf der Suche nach neuen Tönen waren und mit Experimenten aller Art, rhythmischen Neuerungen und melodischen Verschiebungen die alte überkommene Spätromantik frisch belebt hatten.

Pärt faszinierten diese neuen Wege, und er suchte selbst einen: Als junger Wilder experimentierte er mit der brandneuen sogenannten seriellen Technik, die das Tonmaterial noch wesentlich strenger organisierte als die Zwölftontechnik von Arnold Schönberg das getan hatte. Viele Komponisten in Westeuropa schworen auf diese neue Welt, Pärt auch.

So nicht!

Aber es funktioniert nicht, Pärts Aufbruchsstimmung wird jäh beendet. Estland ist damals kein autarkes Land, sondern fest in den sowjetischen Staatenbund integriert.

Die sowjetischen Kulturfunktionäre werden auf ihn aufmerksam und geben ihm unmissverständlich zu verstehen: so nicht! Das sei keine patriotisch-pathetische Musik, die der junge Pärt da komponiert, sondern westlich, formalistisch, dekadent, hässlich. «Offizielle Missbilligung». Verboten.

Zuflucht in der Kirche

Arvo Pärt kämpft nicht, sondern zieht sich zurück. Fängt an, eine Collagetechnik zu entwickeln, mit der er Musik verstorbener Komponisten neu zusammensetzen kann. Das aber ist schnell frustrierend, denn «es macht keinen Sinn mehr, Musik zu schreiben, wenn man fast nur mehr zitiert». Was nun?

Pärt sucht die Religion und die Kirche, hält eine fast zehnjährige schöpferische Krise aus – und entdeckt die alten Kirchentonarten und die Gregorianik, die er umschmilzt in eine ganz eigene, minimalistische, melancholische Tonsprache, die von Wiederholungen und kleinsten Veränderungen lebt. Tintinnabuli-Stil nennt er selber diesen Stil (das lateinische «Tintinnabulum» heisst Glöckchenspiel). Was hier klingelt? Der Dreiklang. Dessen drei Töne ertönen das ganze Stück über, das Klangmaterial ist reduziert auf die Grundelemente. Eine Stimme sorgt für die Harmonie, eine andere Stimme legt eine Melodie darüber.

Grosse Sogkraft

Manchen Menschen ist Pärts Musik in ihrer Rückwärtsgewandtheit suspekt. Auf viele andere übt der dunkle, beschwörende, melancholische, in sich selbst kreisende Ton, der leise daherkommt, aber auch blühen und explodieren kann, eine grosse Sogkraft aus. Als eine sakrale Musik, die trotz der christlichen Titel auch ein Publikum erreicht, das sich unabhängig von allen Religionen spirituell berühren lassen will.

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