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Musik Bachs Matthäus-Passion steht allen anderen im Licht

Ostern ohne Bach, das ist für Klassik-Liebhaber wie Weihnachten ohne Weihnachtslieder. Bachs Matthäus-Passion ist ein epochales Werk. So umwerfend, dass andere Passionen kaum wahrgenommen werden. Zu unrecht.

Bach wusste schon, warum er gerade dieses Werk mehrmals überarbeitete: Seine Matthäus-Passion ist zweifellos ein Gipfelwerk der klassischen Musik. Auch für die, die nicht im engeren Sinn gläubig sind. So exemplarisch steht sie für das Drama menschlichen Leidens. Die aufwühlende Geschichte wird nicht nur über Worte transportiert, sie spielt sich vor allem ab in Musik von höchstem Niveau.

Die Hollywood-Verfilmung unter den Passionen

Passionen mit dem Bericht des Evangelisten als Handlungsfaden, das war zu Bachs Zeit eine Ausnahme. Man bevorzugte damals Passionsoratorien, opernartige Musikwerke ohne szenische Handlung. Zum Beispiel die Brockes-Passion: Barthold Heinrich Brockes, Hamburger Ratsherr und Dichter, erzählt darin die ganze Passionsgeschichte frei nach.

Schon der Titel «Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus» lässt erkennen, dass es Brockes dabei vor allem um eines ging: Er wollte das Leiden Jesu möglichst ein- und nachdrücklich darstellen. Nachdrücklich – und auch etwas sadistisch-exzessiv, finden heute manche. Die Brockes-Passion wird verglichen mit der blutrünstigen Hollywood-Passion «The Passion of the Christ» von Mel Gibson. Mag ja sein, aber bei den Brockes-Passionen ist die Musik besser.

Das Genre «Stabat matar»

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Das Zeitalter der Empfindsamkeit fühlte sich vor allem von der Figur der beim Kreuz leidenden Gottesmutter angesprochen. So wurde häufig die mittelalterliche Dichtung «Stabat mater» vertont. Bahnbrechend war dabei die ebenso vielgerühmte wie vielgescholtene Vertonung (1736) von Giovanni Battista Pergolesi.

Zahlreiche Komponisten ersten Ranges vertonten seine Passions-Dichtung: darunter Händel, Keiser, Telemann und – vielleicht am eindrücklichsten – Gottfried Heinrich Stölzel. Im Gegensatz zu Bachs Passionen waren diese Werke allerdings bis in die jüngste Zeit fast verschwunden. Erst heute erscheinen sie wieder im Konzertleben.

Passionen, eine Modeerscheinung?

Und die Passionen von Haydn, Mozart, Beethoven, ein bis zwei Komponisten-Generationen später? Es gibt keine. Von ihnen wurden auch keine verlangt, Passionen verloren an Popularität.

Es ist unser Glück, dass ein Chorherr in Cadiz auf die Idee kam, an den berühmten Señor Haydn im fernen Wien eine Anfrage zu richten: Ob er nicht für den Karfreitagsgottesdienst eine Folge von Meditationsstücken schreiben könne. Haydn fühlte sich gefordert und sagte zu. Seine «Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze» für Streichquartett wurden eines der Meisterwerke der Wiener Klassik.

Mit Bach wird auch die Passion wiederentdeckt

Christus im Grab auf einem Ölgemälde.
Legende: Die «Beweinung Christi» in der Stiftskirche St. Peter und Alexander in Aschaffenburg (Ölgemälde um 1523). Wikimedia/Matthias Grünewald

Im frühen 19. Jahrhundert dann steht ein damals längst Totgeglaubter wieder auf – der alte Bach. Seine Matthäus-Passion wird wiederentdeckt, und schliesslich wagt Felix Mendelssohn eine (stark gekürzte) Wiederaufführung des Werks. Damit begann das Revival der Alten Musik. Diese interessierte nun nicht mehr nur die Komponisten, sondern zunehmend auch das grosse Publikum. So entwickelte sich schliesslich auch die Situation von heute: Keine Vorosterzeit ohne Bach-Passion!

Neue Passionen, erstmals auch von einer Frau

Lamentationen, die Klagelieder

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Nicht immer stand die Passion im Zentrum des musikalischen Interesses. Die Renaissance konzentrierte sich auf die Lamentationen des Propheten Jeremias und die Responsorien, die diese begleiten. Grosse Komponisten wie Tallis, Victoria, Lasso und Palestrina, wie auch der berühmt-berüchtigte Carlo Gesualdo, vertonten diese Texte in ganzen Werkzyklen.

Die unerfreuliche Begleiterscheinung: Lange wurden kaum mehr neue Passionen komponiert. Vielleicht war das Vorbild Bachs einfach zu übermächtig.

Erst im 20. Jahrhundert entstehen wieder neue Passionen. Dazu gehören so ungleiche Werke wie «Golgotha» von Frank Martin, die Lukas-Passion von Krzysztof Penderecki, oder die Johannes-Passion von Arvo Pärt, unter dessen zahlreichen geistlichen Werken sich weiter auch ein Stabat mater findet.

Gleich vier neue Passionen entstanden in jüngster Zeit aufgrund der Initiative des deutschen Bach-Dirigenten Helmuth Rilling. Darunter findet sich die erste Passion einer Komponistin: das Doppelwerk «Johannes-Passion» und «Johannes-Ostern» von Sofia Gubaidulina. Ob ihr Werk und die Kompositionen von Wolfgang Rihm, Osvaldo Golijov und Tan Dun einen Platz im Repertoire finden, muss sich erst noch zeigen.

Diese Passion wird sich durchsetzen

Zumindest kurzfristig hat der vielgespielte US-Amerikaner John Adams die besten Chancen, ins Repertoire aufgenommen zu werden. Sein neustes Oratorium auf ein Libretto von Peter Sellars heisst «The Gospel According to the Other Mary» (2012).

Diese Musik orientiert sich an den Populärmusiken der USA. Manchen mag sie aufs erste zu poppig sein für ein religiöses Thema. Dabei sollte nicht vergessen gehen, was sich während einer Aufführung der Matthäus-Passion zu Bachs Lebzeiten ereignete: Da meinte eine Dame schockiert, das sei ja Musik wie in der Oper.

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