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Musik Balladen – die zweite Seele des John Coltrane

Es ist eine untypische Platte für den grossen Saxofonisten John Coltrane: «Ballads» aus dem Jahr 1962. Eine Sammlung aus langsamen, nachdenklichen Stücken, weit weg von der Musik, die man zu jener Zeit von ihm gewohnt war. Bei seinen Fans kam sie nicht gut an – zu Unrecht.

John Coltrane war unbarmherzig – mit seinem Publikum und sich selbst. Seine Musik zu hören ist herausfordernd, kein Vergnügen, dem man sich stundenlang hingeben will. Coltrane will nicht unterhalten oder Backgroundmusik liefern. Ihm geht es stets um das Letzte: Er scheint immer ums nackte Überleben zu spielen.

John Coltrane

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John Coltrane, 1926 in North Carolina geboren, war ein bedeutender US-amerikanischer Jazz-Saxofonist. Generationen von Nachgeborenen arbeiten sich seither an seinem monumentalen Werk ab, und versuchen einen musikalischen Weg daneben und danach zu finden. 1967 verstarb Coltrane an Leberkrebs in New York.

Der Start von Coltranes Karriere war eher verhalten. Während sein Altersgenosse, der Trompeter Miles Davis, mit Anfang zwanzig seine epochemachenden «Birth of the Cool»-Aufnahmen realisiert, dümpelt Coltrane von Band zu Band, ist sich noch nicht einmal sicher, ob er lieber Alt- oder Tenorsaxofon spielen soll. Erst als er mit dreissig zum Miles Davis Quintet stösst, findet er zu sich.

Mit der Platte «Kind of Blue» von Miles Davis wird er richtig bekannt. Kurz darauf gründet er sein eigenes Quartett. Damit beginnt die Suche nach der eigenen Musik, eine obsessive Suche. John Coltrane wird plötzlich – und wohl gegen seinen Willen – zum Messias der Jazzentwicklung. Die ganze Jazzwelt schaut auf ihn.

«Ballads» – ein Schock

Da kommt die Platte «Ballads» wie ein Schock. Kurz zuvor waren die Live-Mitschnitte aus dem New Yorker Jazz Club «Village Vanguard» erschienen, mit endlosen Improvisationen und brennender Intensität. Coltrane und sein kompromissloser junger Kollege Eric Dolphy blasen sich buchstäblich die Seele aus dem Leib.

Und jetzt das: Songs aus dem Musicalrepertoire, Perlen wie «You Don't Know What Love Is», oder «Nancy», ein Song, den Frank Sinatra in den Vierzigerjahren unsterblich gemacht hatte. Coltrane spielt die Melodien der Songs, hält sich mit seinen Improvisationen stark zurück. Auch seine sonst ungestümen, jungen Kollegen agieren mit fast klassischer Noblesse.

Ein grosser Melodiker

Es wird moniert, Coltranes Produzent Bob Thiele habe nach den «Vanguard»-Aufnahmen auf eine leicht bekömmliche und somit gut verkäufliche Produktion gedrängt. Hardcore-Fans allerdings sehen «Ballads» als Rückschritt. Sie kritisieren, Coltrane sei «kommerziell» geworden – das Schlimmste, was man einem Jazzer nachsagen kann.

Aber fast zur selben Zeit geht John Coltrane mit Duke Ellington ins Studio und spielt dessen Stücke ein. Kurz darauf tut er sich mit Balladensänger Johnny Hartman zusammen. Auf allen drei Platten zeigt er sich als grosser Melodiker, der mit berückend schönem Ton zu gestalten weiss, sodass auch ein jazzfernes Publikum dahinschmilzt.Coltrane war zwar unbarmherzig mit dem Publikum und sich selbst, aber eben nicht immer. Zwei Seelen wohnten in seiner Brust. Schönster Beweis dafür ist das Album von 1962, «Ballads».

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