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Musik Ernst Krenek: eine Ein-Mann-Geschichte des 20. Jahrhunderts

1900 in Wien geboren, 1991 in Kalifornien gestorben: Ernst Krenek gilt als Chronist eines Jahrhunderts. Der Komponist und Musiker hat die künstlerischen Entwicklungen seiner Zeit wie kein Zweiter begleitet. Er wollte – und musste – immer wieder neue Wege einschlagen.

Komponist war er, Literat, Musikjournalist und vor allem ein aufmerksamer Zeitgenosse, der immer unterwegs war. Der unterwegs sein musste, um mit seinen feinen ästhetischen Antennen die musikalischen Entwicklungen eines ganzen Jahrhunderts aufzunehmen. Der aber auch unterwegs sein musste, um genau aus diesem Grund seinen Verfolgern zu entgehen.

Mit einer Jazzoper auf Erfolgskurs

Gerade einmal 27 Jahre alt ist Krenek, als er mit seiner Jazzoper «Jonny spielt auf» einen sensationellen Skandalerfolg und Verkaufsschlager erzielt. Allein in der ersten Spielzeit gibt es über 400 Aufführungen in 45 verschiedenen Städten, bald schon wird das Stück an praktisch jedem Opernhaus in Deutschland gespielt, aber auch in Frankreich, Finnland, Ungarn, der Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien und in New York. Unerhört.

«Der Rosenkavalier» von Richard Strauss sieht daneben plötzlich sehr blass aus. Denn der junge Krenek trifft die Sehnsucht der Menschen und den Geist der Zeit. Sein Johnny hat keinen altertümlichen Plot, sondern präsentiert eine Geschichte aus dem Hier und Jetzt mit Witz, Leichtigkeit, Satire.

Im Auge der Nationalsozialisten

«Jonny spielt auf» ist eine Mischung aus lyrischer Revue, Gangsterkomödie und Drama. Natürlich geht es um Liebe – und um einen Geigendiebstahl, einen traurigen Komponisten, eine Autojagd auf offener Bühne, einen fahrenden Zug, einen singenden Gletscher, eine fingierte Radio-Liveübertragung und die Verwandlung des Bahnhofs in eine Weltkugel, auf der ein triumphierender Jonny, die Geige in der Hand, aufspielt. Johnny übrigens ist ein Schwarzer. Ein solcher Plot, eingebettet in jazzig angehauchte Musik, ist ein Symbol der künstlerischen Freiheit in den zwanziger Jahren. Und die Nationalsozialisten? Beobachten Krenek.

Mit dem Börsencrash von 1929 und der Weltwirtschaftskrise sind Optimismus und Lebensfreude der zwanziger Jahre dahin. Ein neues, reaktionäres Kulturverständnis breitet sich aus, das für einen wie Krenek keine Sympathien hat. Dieser besinnt sich jetzt neu: Erst tummelt er sich ein wenig im Schwimmbecken der Neo-Romantiker und überlegt, ob er nicht die ganze Musik hinter sich lassen und Journalist werden sollte.

Mann sitzt auf einem Sofa vor einer Blumentapete.
Legende: Visionär seiner Zeit: Ernst Krenek (ca. 1985). Alex Schlee

Der «entartete» Jonny

Aber dann entdeckt er Arnold Schönberg. Er, der nie zum Schülerkreis des Wiener Zwölftonmusikerfinders gehört hatte, entwickelt sich zu einem enthusiastischen Verfechter eben dieser Zwölftonmusik. Und die Nationalsozialisten? Beobachten weiter.

Dass Krenek aus seiner antifaschistischen Haltung nie ein Hehl macht, entgeht ihnen nicht. Als sich das Deutsche Reich 1938 Österreich einverleibt, werden ihre Gehässigkeiten und Angriffe überdeutlich: Das Plakat ihrer Ausstellung über «entartete Musik» schmückt ein schwarzer Saxofonspieler mit Davidstern – und es ist klar, wer das sein soll: Kreneks vormals berühmter Opernheld, der schwarze Johnny.

Ein Phänomen, findet Glenn Gould

Jetzt merkt Krenek endlich, dass sein Platz hier nicht mehr ist, er wandert aus – und bleibt den Rest seines Lebens an der Spitze der Avantgarde. Denn nach dem Krieg schlägt er immer wieder neue Wege ein. Er experimentiert mit der neuen elektronischen Musik, spielt mit der Vorausbestimmung, also seriellen Durchorganisation des musikalischen Materials und mit dem genauen Gegenteil, dem Komponieren mit dem Zufall.

Als Krenek mit 91 stirbt, hinterlässt er ein Œuvre von fast 250 Werken. Und den Eindruck, dass er einer der wendigsten und neugierigsten Musiker des 20. Jahrhunderts war.

Einige Meter nördlich von Beethoven und Schubert liegt er begraben, Gruppe 33 G: in der Nachbarschaft von Udo Jürgens und dem Schauspieler Helmut Qualtinger, dem Dichter Ernst Jandl und den Komponistenkollegen György Ligeti und Alexander Zemlinsky. Hier auf dem Wiener Zentralfriedhof hat auch er sein Ehrengrab: Ernst Krenek, «The one-man history of twentieth-century music», wie ihn sein Bewunderer, der Pianist Glenn Gould nannte.

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