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Musik Punk ist tot – es lebe der Punk!

Jon Savage hatte das Kultbuch «England's Dreaming» über Anarchie, Sex Pistols und Punk Rock geschrieben. Jetzt ist es wieder da, in gekürzter, deutscher Fassung. Vierzig Jahre nach dem Ende des Punk stimmt die Einschätzung der Sex Pistols immer noch. Es gab wirklich keine Zukunft für Englands Traum.

Schnell ist alles wieder vorbei. Im Januar 1978, als sich die Sex Pistols nach einem Tournee-Auftritt im «Winterland» in San Franzisco auflösen. Da ist Punk am Ende. Man merkt es noch nicht, nicht sofort, denn es hört nicht einfach auf, die Musik nicht, die Bilder und auch die Haltung nicht. Es geht weiter, irgendwie, aber was jetzt kommt, ist Nachspiel, Remake, Zitat und Zitat des Zitats.

Der britische Musikjournalist Jon Savage ist dabei, als alles beginnt. Sein Buch «England`s Dreaming» ist die Mitschrift der Punkbewegung in England. Savage hat aufgeschrieben, was passiert und er hat Gespräche geführt mit den Beteiligten. Er ist nah an den Ereignissen und an den Verhältnissen der Zeit, interessiert an der Verbindung von Musik und Gesellschaftstheorie. Ein Enthusiast mit Ambitionen, der wissen will, was vor sich geht. Und auch einige analytische Begabung mitbringt.

Buchhinweis

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Jon Savage: «England`s Dreaming. Anarchie, Sex Pistols, Punk Rock», Edition Tiamat, 2016.

Provokation und Erfolg

Von Mode ist viel die Rede in diesem Buch. Vor allem zu Beginn, wenn es Punk in London noch nicht gibt, aber schon einen Laden mit seltsamen Fetischklamotten, der «Sex» heisst. Eine begabte Schneiderin mit rüden Umgangsformen und ein hagerer Impressario mit dem richtigen Gespür für Ideen betreiben ihn: Vivienne Westwood und Malcolm McLaren.

McLaren hat in New York die Ramones gehört. Jetzt will er in England etwas Ähnliches. Von der Musik bringt er die Attitüde mit, den ästhetischen Furor und das Prinzip der Provokation. Von den französischen Situationisten hat er an der Kunstschule gehört und von ihrem Geist des Irregulären. Aber was ihn wirklich treibt, ist das Geld.

Audio
Punk feiern – geht das? (Kultur kompakt, 26.05.2016)
04:41 min
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 41 Sekunden.

Anarchy in the UK

Queen Elizabeth II. feiert ihr silbernes Thronjubiläum, als im Mai 1977 «God save the Queen» erscheint. Die Band hinter dem Song heisst «Sex Pistols» und der Text darin sieht vor allem eins: «Keine Zukunft für Englands Traum». McLaren hatte die Band erfunden. Er sucht die Musiker aus und besetzt sie in sein Konzept der ästhetischen Revolte. John Lydon, der sich «Johnny Rotten» nennt, ist der charismatische Sänger, «Sid Vicious» der Bassist, der nicht spielen kann, passt in die Optik.

Der kurze, rasende Aufstieg der Band fällt in die grosse Krise des Landes. Jon Savage beschreibt sie in prägnanten Bildern, den Absturz der Working Class und den latenten Aufruhr einer gefährdeten Mittelschicht, vereint in der britischen Klassengesellschaft. Bilder von trostlosen Abrissvierteln und einer Jugendarbeitslosigkeit, die ohne Beispiel ist seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Thatchers Revolte von oben

«Anarchy in the UK» ist der Anfang im November 1976 und es wird die Hymne der Punk Bewegung bleiben. Einige Tourneen und Krawalle, zwei gewinnbringende Plattenverträge und skandalisierende TV-Auftritte später ist Punk Geschichte. Sid Vicious und seine Freundin, das Groupie Nancy Spungen, addieren sich zu den Drogentoten der Rockmythologie. John Lydon macht unter dem Namen Public Image Limited weiter Musik und streitet mit McLaren vor Gericht um Rechte und Lizenzen.

Jon Savage findet auch für das Ende des Punk in England ein historisches Datum und einen Namen. Margaret Thatcher wird am 3. Mai 1979 zur Premierministerin gewählt. Karl Heinz Bohrer, der zu dieser Zeit Korrespondent der FAZ in London ist, hat sie «die weisse Riesin» genannt. Eine Figur wie aus den Kolonialfilmen des Empire, radikal und entschlossen zur Veränderung. Jetzt findet die Revolte von oben statt. Politisch und ästhetisch.

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