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Weltklasse – Sommerkonzerte Für den Jazz und gegen jede Norm: Irène Schweizer

Man hat sich schon fast daran gewöhnt: Die Zürcher Pianistin Irène Schweizer ist die First Lady of Jazz in der Schweiz, die Instanz, an der sich junge Musiker abarbeiten können. Aber man sollte sich nicht daran gewöhnen: Irène Schweizer ist eine Ausnahmeerscheinung.

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Ausschnitt: Sagen und Mythen des Gotthard
Aus Kultur Extras vom 01.06.2016.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 19 Sekunden.

Eben ist eine Biographie Irène Schweizers erschienen, der Berliner Autor Christian Broecking zeichnet darin akribisch, mit unzähligen Zitaten von Weggefährtinnen und Weggefährten gespickt, diese ausserordentliche Vita nach. Als wichtigste Erkenntnis bleibt: Irène Schweizer ist eine Pionierin, und sie geniesst die Hochachtung sämtlicher Kolleginnen und – nicht selbstverständlich – Kollegen, in Europa und Übersee.

Anfangs der 1960er-Jahre taucht Schweizer, aus ihrer Heimat Schaffhausen kommend, in Zürich auf. Innerhalb kürzester Zeit ist sie Teil der europäischen Jazzavantgarde, der jungen Wilden von damals, die in jenen aufmüpfigen Jahren alles über den Haufen spielen, was den traditionellen Jazzpuristen heilig ist.

Befreiung von allen Zwängen

Dass sie den Respekt ihrer männlichen Kollegen so schnell erhält, ist nicht selbstverständlich. Wenn man die umfangreiche Biographie Christian Broeckings liest, gibt es dafür nur eine Erklärung: Irène Schweizer steht ausserhalb jeder Norm, in vielerlei Beziehung.

Irène Schweizer hat einen langen Weg gemacht, von frühen Versuchen in lokalen Dixielandbands, über ihre Präsenz als Hardbop-Pianistin in der Zürcher Szene der 1960er-Jahre, bis zur Befreiung von allen Zwängen vor allem in Deutschland. Um schliesslich zu einer abgeklärten Spielhaltung zu finden, die alle ihre musikalischen Erfahrungen zusammenfasst, und doch immer Aufbruchsgeist signalisiert.

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Das Jazzfestival Schaffhausen feiert den 75. Geburtstag der Jazzpianistin Irène Schweizer mit einem Solo-Konzert. Hier können Sie dieses nachhören.

Als einzige Frau in einer Männerszene

Als einzige Frau in einem Männerhaufen mitzutun, dessen musikalische Haltung man zwar teilt, dessen ganzen Rest – die Saufereien (man muss es so drastisch sagen!) nach den Konzerten, die Männerbündeleien, die derbe Sprache – man aber keineswegs mitmachen möchte, das ist am Anfang gewöhnungsbedürftig, später nur noch abstossend.

Kommen die miserablen Bedingungen dazu, unter denen damals Musik gemacht wird: die zum Teil unspielbaren Klaviere, die nicht existierenden Verstärkeranlagen, die miserable Bezahlung, die endlosen Reisen in klapprigen VW-Bussen auf Tournee, die Nächte in irgendwelchen fremden Wohnungen, weil kein Geld fürs Hotel da ist, die zuweilen offene Ablehnung der Jazzfans, die diese neue Musik nicht verstehen und auch nicht hören wollen. Wer da nicht untergehen will, braucht eine Elefantenhaut. Irène Schweizer hat sie.

Buchhinweis

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Christian Broecking: «Dieses unbändige Gefühl der Freiheit. Irène Schweizer – Jazz, Avantgarde, Politik». Broecking Verlag, 2016

Irène Schweizer ist 75 Jahre alt. Und wir sehen eine Frau und Künstlerin, die in keiner Art verbittert ist; die fröhlich, zugewandt und humorvoll ist, die direkt sein kann und mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg hält, und die – vor allem dies – einen geradlinigen Weg hinter sich und einen neugierigen vor sich hat. Und die nach wie vor kraftvoll, eigenständig, hinterlistig und überraschend Klavier spielt.

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