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Netzwelt Diese App stillt den kleinen Lesehunger

«Brotseiten», das ist Literatur für zwischendurch, in bekömmlichen Häppchen serviert und nicht zu schwer. Die Schweizer App bringt Kurzgeschichten von namhaften Autoren auf Handy und Tablet. Das sieht schön aus und überzeugt als Pendlerlektüre. Für Vielleser ist das Angebot jedoch zu klein.

Das ist mal ein bequemer Zugang zu Literatur: Ich lade die App, erhalte fünf Kurzgeschichten gratis, kriege Appetit auf mehr und löse ein Abo. Die Selektion übernehmen andere und ich kriege regelmässig eine pfannenfertige Auswahl auf mein Gerät. Die neue App «Brotseiten» richtet sich an Gelegenheitsleser und Pendler, die leichte Literatur suchen – Liebhaber hingegen werden das Stöbern als Teil des Leserlebnisses wohl vermissen.

Bis jetzt gibt’s sechs Ausgaben, jede enthält fünf Geschichten. Darunter namhafte Autoren wie Silvio Huonder, Franz Hohler, Alex Capus, Peter Stamm, Milena Moser, Charles Lewinsky oder Guy Krneta. Leseratten werden da schnell an ihre Grenzen stossen. Aber für Zwischendurch – als Zwischenmahlzeit, wie der Name impliziert – funktionieren die Geschichten tatsächlich gut. Sie zu lesen oder hören, dauert höchstens 20 Minuten.

Über die Landesgrenze hinaus

Die App «Brotseiten»

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Die App mit fünf Geschichten ist gratis, das Abo kostet 9 Fr. pro Monat – 80 Fr. pro Jahr. Während dieser Zeit kann ich so viele Geschichten lesen und hören, wie ich möchte – bis jetzt sind 35 im Angebot. «Brotseiten» funktioniert auf iPhone und iPad, eine Androidversion ist in Arbeit.

Zur Website – zum Download.

Der Bieler Adrian Fluri und der Luzerner Marco Grüter lancierten die App. Für das literarische Start-up kündigten sie 2013 ihre Jobs im Marketing und auf einer Bank. Sie sprachen mit Autoren und Verlegern und suchten Geldgeber.

Kritik gab es wenig, Skepsis schon eher. Kein Verleger hat auf zwei Neulinge gewartet, die das digitale Literaturgeschäft aufmischen. Bei Stiftungen und der öffentlichen Hand stiessen Fluri und Grüter auf offene Ohren und erhielten eine Anschubfinanzierung. Mittelfristig will «Brotseiten» aber selbsttragend sein, doch dafür ist die Schweiz wohl zu klein. Darum soll die App dereinst im ganzen deutschsprachigen Raum angeboten werden.

Zahlen zum Start nennt Grüter noch keine, er verrät nur: «Wir sind im Plan, die Zeichen deuten nach oben.» Die Aussichten sind nicht schlecht, denn es gibt noch kein solches Angebot. «Snippy», eine deutsche App, bietet ebenfalls Kurzgeschichten an, jedoch nicht im Abomodell (siehe Kasten). Das Vorbild für «Brotseiten» kommt aus den USA: von der Geschichten-App «Byliner».

Noch wenige Erstveröffentlichungen

In der neusten «Brotseiten»-Ausgabe findet man einen Poetry-Slam-Text, eine Abenteuergeschichte, eine Reportage über LSD, ein Aperçu sowie eine Trouvaille aus dem Archiv. Ich kann die Geschichten lesen oder hören – beides funktioniert tadellos. Die Schrift ist sehr lesefreundlich, ich kann Grösse und Hintergrund anpassen und jeder Text ist eigens hübsch illustriert. Gelesen werden sie von professionellen Sprechern.

De Gestaltung hält sich angenehm zurück und wirkt sehr gediegen – im Zentrum stehen die Geschichten, alles Funktionale hält sich diskret am Rand. Mit einem Klick erfahre ich mehr über die Autoren und kann deren Bücher bestellen. Ich kann die Geschichten bewerten und weiterempfehlen. Das Feedback soll in die künftige Auswahl der Geschichten fliessen. Ansonsten gibt’s keine Interaktionsmöglichkeit.

Ähnliche Angebote

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Die deutsche App «Snippy» bietet ebenfalls Kurzgeschichten in Schrift und Ton. Jedoch nicht im Abo, sondern man wählt selber aus und kauft einzelne Geschichten (1 Fr.). Das Angebot umfasst 275 Titel.

Die amerikanische App «Byliner» bietet ebenfalls ausgewählte Geschichten: Im Abo (rund 5 Fr./Monat) oder ich kaufe wöchentliche Pakete (0.80 Fr.).

Mit dem Abo kauft man quasi die Katze im Sack und läuft Gefahr, dass man auf Geschichten stösst, die man schon kennt. Denn die meisten sind in Buchform bereits einmal erschienen, Erstveröffentlichungen noch die Ausnahme. Bis jetzt etwa ein Text des jungen Autors Joachim B. Schmidt. Und es gibt vergriffene oder vergessene Geschichten aus den Archiven verstorbener Autoren. Zum Beispiel «Hello Peter!» des ehemaligen Radiomannes und Schriftstellers Otto Steiger – bisher noch unveröffentlicht.

Dass die beiden Gründer nicht aus der Literaturszene kommen, sehen sie als Vorteil. «Wir haben eine externe Sicht, und das Angebot soll ja auch Nichtliteraten begeistern», so Marco Grüter. Fachliche Unterstützung erhalten sie aus einem Beirat.

Nervende Werbung und Tipps

«Brotseiten» überzeugt, ist aber noch nicht ausgereift: Das Aufstarten etwa dauert relativ lange. Die Navigation ist teilweise noch zu umständlich und manchmal reagiert die App träge oder stürzt ab. Und bei aller diskreten und aufgeräumten Gestaltung, weiss ich teils nicht sofort, wo ich klicken kann. Was aber wirklich stört: Werbung taucht selbst dann auf, wenn ich zahlender Abonnent bin. Und gutgemeinte Bedienungshilfen nerven nach dem x-ten Mal – man hat’s irgendwann kapiert.

Im Prinzip funktioniert «Brotseiten» wie ein gutes Magazin, das man immer mal wieder für eine halbe Stunde zur Hand nimmt. Wenn die App in Zukunft noch mehr exklusive Geschichten von jungen Autoren oder aus den Archiven anbietet, werde ich mein Abo wohl verlängern.

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