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Flughafen Istanbul-Atatürk
Legende: Am Flughafen Istanbul-Atatürk dürften bald mehr Türkinnen und Türken in die Ferien fliegen. Reuters/archiv
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International «Der Druck für eine Zustimmung ist gross»

Die EU-Kommission schlägt eine Visafreiheit für die Türkei im Schengen-Raum vor – obwohl das Land noch nicht alle Bedingungen erfüllt. Noch müssen EU-Parlament und Länder zustimmen. Es bleibt ihnen wohl nicht viel anderes übrig, wie SRF-Korrespondent Oliver Washington erklärt.

Die EU steht unter Druck. Der Zeitplan ist straff. Bis Ende Juni sollen nach dem Wunsch der Türkei die Visa liberalisiert werden. Noch müssen die EU-Staaten und das EU-Parlament ihre Zustimmung geben.

Die EU wartet nicht, bis die Türkei alle Bedingungen für eine Aufhebung der Visapflicht erfüllt. Dies zeigt auf, wie abhängig die EU von der Türkei in der Flüchtlingsfrage ist. Die Türkei hat verschiedentlich gedroht, das Flüchtlingsabkommen nicht mehr weiter umzusetzen.

Ist die Visumsfreiheit ab Ende Juni beschlossene Sache nach dem Teil-OK der EU-Kommission?

Sicher ist das noch nicht. Denn die Kommission entscheidet nicht, sondern gibt nur eine Empfehlung ab. Danach müssen das EU-Parlament und der EU-Rat zustimmen, das heisst, die EU-Innenminister. Das sollte voraussichtlich in der Woche des 6. Juni passieren. Es ist bemerkenswert, wie stark die EU unter dem aktuellen Druck bereit ist, das Ganze zu beschleunigen. Denn ursprünglich hätte das alles erst im kommenden Jahr passieren sollen.

Die Türkei hat noch nicht alle Bedingungen erfüllt, welche die EU für das erleichterte Einreisen verlangt. Mit der Aufhebung des Visazwangs für die Türken hat die EU ja gar kein Druckmittel mehr in der Hand.

Das wäre das Problem. Deshalb steht zur Diskussion, dass die EU eine Notfallklausel einführen möchte. Wenn zu viele Türkinnen und Türken kommen würden, könnte sie die Klausel aktivieren. Dann gäbe es wieder eine Visumspflicht. Eine solche Notfallklausel gibt es bereits heute. Aber vor allem Deutschland und Frankreich sagen, dass die Hürden für deren Aktivierung heute zu hoch seien. Sie müssten deshalb gesenkt werden. Die Kommission hat sich widersprüchlich zu einer solchen Klausel geäussert. Ursprünglich liess sie verlauten, dass sie von einer solchen Klausel nichts hält. Danach hat sie sich auch positiv geäussert.

Die Frage ist nun, wie reagieren das EU-Parlament und vor allem die Parlamente der einzelnen Länder?

Audio
Visafreiheit: Journalist Thomas Seibert erklärt die Sicht der Türkei
aus SRF 4 News aktuell vom 04.05.2016.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 13 Sekunden.

Der Druck auf das Parlament und die Länder wird gross sein, dem Vorschlag zuzustimmen. Beim Rat gehe ich davon aus, dass er zustimmen wird. Er muss nicht einstimmig entscheiden, sondern es reicht eine qualifizierte Mehrheit. Beim Parlament bin ich etwas unsicherer, da wird es sicher Widerstand geben. Die Frage ist, wie breit dieser Widerstand sein wird, denn auch hier wird der Druck für eine Zustimmung sehr gross ein. Ein Nein wäre deshalb eine Überraschung, kann aber nicht ausgeschlossen werden.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

Visafreiheit – wer kommt?


Thomas Seibert, Journalist in Istanbul, sagt zur Frage der Visafreiheit für die Türken:

«Nur etwa 10 Prozent der Bevölkerung der Türkei verfügen über einen Pass und nur etwa acht Millionen Türken reisen überhaupt ins Ausland. Es ist daher kein neuer Ansturm zu erwarten. Dazu kommt, dass die Passgebühren in der Türkei relativ hoch sind. Ein Pass kostet bis zu 190 Euro. Viele Leute sind zu arm und können sich das nicht leisten. Profitieren würden in erster Linie Leute, die viel reisen wollen oder müssen. Das sind Geschäftsleute, aber auch Studenten und Akademiker. In zweiter Linie sind es Menschen, die ihre Verwandten in Europa besuchen wollen. Die gut ausgebildeten Leute, die wegen der politischen Krise ihre Heimat verlassen wollen, sind beispielsweise Ärzte, aber für sie spielt es keine Rolle, denn sie haben sowieso ein Schengen-Visum im Pass. Die Leute, die sich wegen der sich anbahnenden politischen Krise aus der Türkei absetzen wollen, können das so oder so tun. Für sie spielt die Visafreiheit keine Rolle.»

Oliver Washington

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Porträt Oliver Washington

Oliver Washington ist seit 2003 bei SRF. Ab 2007 war er Mitglied der Inland-Redaktion, seit 2014 ist er EU-Korrespondent in Brüssel. Washington hat Soziologie, Geografie und Wirtschaftsgeschichte studiert.

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