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Zwei Männer halten ein Transparent, auf dem steht: "Saudi's king will be punished for executing"
Legende: Weltweit protestieren Schiiten gegen die Hinrichtung des Geistlichen, wie hier im US-Bundesstaat Michigan. Reuters
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International «Die Position Saudi-Arabiens ist nah an derjenigen des IS»

Saudi-Arabien gerate zunehmend in die Isolation, sagt Nahostexperte Ulrich Tilgner. Die Politik des Landes sei widersprüchlich und in der anti-schiitischen Bewegung gebe es nur einen kleinen Unterschied zu terroristischen Aktionen.

SRF News: Einen Abbruch der diplomatischen Beziehungen hat es in der neueren Geschichte der beiden Länder auch schon gegeben. Auf welcher Stufe steht die aktuelle Massnahme Saudi-Arabiens?

Ulrich Tilgner: Sie ist eine Bestätigung dafür, dass die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Iran nicht funktionieren und dass es eine extreme Konkurrenz zwischen den beiden Ländern gibt. Saudi-Arabien ist für die jetzige Entwicklung verantwortlich. Das Land will damit auch zeigen, dass es die Entspannung, die von den westlichen Staaten durch das Atomabkommen mit Iran ausgelöst wurde, nicht mitträgt.

Saudi-Arabien begründet den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Teheran, damit, dass es nichts mit einem Staat zu tun haben wolle, der Terrorismus unterstütze. Was hat der Iran mit Terrorismus zu tun?

In diesem Fall natürlich nichts. Der hingerichtete Geistliche hatte 2011 zu friedlichen Protesten, zu zivilem Ungehorsam aufgerufen. In Saudi-Arabien sieht man im Schiismus eine staatsfeindliche Religion. Die Iraner dagegen sind mehrheitlich Schiiten und fühlen sich als Schutzmacht der Schiiten in der ganzen Region.

Es gibt wenig spürbaren Unterschied zu terroristischen Aktionen.

In der anti-schiitischen Bewegung Saudi-Arabiens, die nun verstärkt wurde, gibt es wenig spürbaren Unterschied zu terroristischen Aktionen. Die Hinrichtung selbst ist auch ein Zeichen. Sie erinnert an die Exekutionen der Terroristen. Und die Terrormiliz des «Islamischen Staates» sagt, alle Schiiten müssten umgebracht werden.

Das Ganze zeigt, dass Saudi-Arabien ein fundamentales, sunnitisches Land ist. Die Religion wird wie bei radikal islamischen Organisationen praktiziert. Man wirft den Schiiten vor, Abtrünnige zu sein – Terroristen, weil Schiiten im Libanon und Irak kämpfen. Aber die Position Saudi-Arabiens ist sehr nah an derjenigen der IS-Terroristen und der Vorwurf wird nur umgedreht.

Die Hinrichtung des Geistlichen Nimr al-Nimr hat nicht nur die mehrheitlich schiitische Bevölkerung im Iran erzürnt, sondern auch die Führung des Landes. Ajatollah Ali Chamenei sagte, der Tod von al-Nimr werde Folgen haben. Die Führer des sunnitischen Saudi-Arabien würden die Rache Gottes zu spüren bekommen. Was meint er damit?

Das ist ein sehr allgemeiner Ausspruch. Es leben Schiiten in Gebieten, die an Saudi-Arabien angrenzen, wie etwa Bahrain. Dort gibt es seit Jahren Proteste der Schiiten gegen die Herrschaft der sunnitischen Minderheit.

In diesen Gebieten gibt es sicherlich Gläubige, die al-Nimr folgen werden. Es ist ein schiitisches Prinzip, dass der einzelne Gläubige sich einen Religionsführer aussuchen darf, dem er dann folgen muss. Da könnte es zu Racheaktionen kommen. Wenn Chamenei sagt, die Rache Gottes komme, könnte er so etwas meinen.

Ich glaube, dass der Iran selber nichts gegen Saudi-Arabien unternehmen wird.

Ich gehe davon aus, dass der Iran selber nichts gegen Saudi-Arabien tun wird, weil man letztlich auf einen Ausgleich mit diesem Land angewiesen ist und die Eskalation nicht weitertreiben möchte. Dass Radikale die Botschaft in Teheran angezündet haben, ist eher Alltag im Iran und zeigt, dass es auch innenpolitisch eine Auseinandersetzung mit der Position des Landes gegenüber Saudi-Arabien gibt.

Die Sunniten im Land, die Wahabiten, glauben, dass man ins Paradies kommt, wenn man drei Schiiten getötet hat.

Den Saudis musste doch klar sein, dass sich die Schiiten im Iran angestachelt fühlen. Sie isolieren sich damit international auch ein Stück weit. Warum nimmt das Land das in Kauf?

In Saudi-Arabien ist man anti-schiitisch. Die Sunniten im Land, die Wahabiten, glauben, dass man ins Paradies kommt, wenn man drei Schiiten getötet hat. Das mag für unsere Ohren fremd klingen, aber das ist saudische Staatspolitik und die führt jetzt zu dieser extremen Verhärtung in der Region. Für die saudische Führung ist diese Politik wichtiger, als die internationale Wahrnehmung des Landes.

Saudi-Arabien gerät zunehmend in die Isolation.
Audio
Nahostspezialist Ulrich Tilgner zu Saudi-Arabiens Massnahmen
aus SRF 4 News aktuell vom 04.01.2016.
abspielen. Laufzeit 7 Minuten 8 Sekunden.

Das Land ist der grösste Rüstungsimporteur der Region und führt Kriege. Saudi-Arabien hat in Bahrain militärisch eingegriffen, es führt einen Krieg gegen Jemen und ist am Krieg gegen den IS beteiligt. Gleichzeitig unterstützt Saudi-Arabien aber fundamentalistische Gruppen gegen den syrischen Machthaber Assad, die vom Westen als terroristisch abgelehnt werden. Es herrscht eine widersprüchliche Politik. Saudi-Arabien versucht mit Gewalt, diese alte Politik fortzusetzen und gerät damit zunehmend in die Isolation.

International gibt es Befürchtungen, dass nach den Hinrichtungen der Konflikt zwischen den Schiiten und den Sunniten in der Region eskalieren könnte. Teilen Sie diese Befürchtung?

Es wird sicherlich eine Zunahme der Proteste in Bahrain geben. Die Schiiten, die ja auch die Mehrheit der Bevölkerung im Irak stellen, sind aufgebracht. Saudi-Arabien wird Probleme haben in der arabischen Welt. Die Konflikte in der Region verhärten sich. Die Schiiten werden mobiler werden. Warum Saudi-Arabien den Geistlichen hingerichtet hat, erschliesst sich mir nicht.

Ulrich Tilgner

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Ulrich Tilgner

Tilgner berichtet seit mehr als 30 Jahren für Schweizer Radio und Fernsehen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Von 2002 bis 2008 war er Leiter des ZDF-Büros in Teheran.

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