Nachdem sich die Eskalationsspirale in Nahost über das Wochenende gefährlich beschleunigt hat, sind nun erste Entspannungssignale auszumachen: Israel hat die umstrittenen Metalldetektoren an den Zugängen zum Tempelberg wieder entfernt – und spricht von einem Fehler, sie überhaupt installiert zu haben.
Massgeblich für Premier Netanjahus Entscheid dürften aber nicht internationale Vermittlungsversuche gewesen sein, glaubt Inge Günther, Korrespondentin in Jerusalem. Denn die Sinnhaftigkeit der Kontrollen war auch in Israel umstritten: «Die israelischen Geheimdienste haben schon früh gesagt, dass die Metalldetektoren nicht zur Sicherheit beitragen – stattdessen würden sie von den Palästinensern als unnötige Provokation verstanden.»
Der «Deal», der keiner sein darf
Die blutigen Konfrontationen der letzten elf Tage belegten diese Einschätzung auf traurige Weise. Allein: «Für Premier Netanjahu war es schwierig, zurückzurudern, zumal es am Wochenende einen Anschlag auf israelische Siedler gab.» Die unverhoffte Wende leitete offenbar ein anderer tödlicher Zwischenfall ein: Ein Jordanier drang am Sonntag auf das Gelände der israelischen Botschaft in Amman ein und wurde von einem Wachmann erschossen. Versehentlich tötete er auch einen unbeteiligten jordanischen Arzt.
Die Folge: Ein diplomatisches Zerwürfnis zwischen Tel Aviv und Amman. Und, wie Journalistin Günther sagt, ein möglicher Ausweg aus der verfahrenen Lage am Tempelberg: «Israel wollte den Wachmann so schnell wie möglich nachhause holen, damit er nicht weiter von Jordanien befragt wird. Dadurch kam ein Deal zustande, der offiziell gar keiner ist.»
Es war der ‹Deal› zwischen dem jordanischen König Abdullah und dem israelischen Premier Netanjahu, der die Kuh vom Eis geholt hat.
Heisst: Die Metalldetektoren am Tempelberg werden entfernt. Dafür darf der israelische Wachmann zurück in seine Heimat. «Offiziell wird das natürlich dementiert.» Doch Beobachter würden von dieser Abfolge der Ereignisse ausgehen. Dagegen dürfte Appelle des UN-Sicherheitsrats zur Mässigung an beide Seiten «nur begrenzte Wirkung» gehabt haben, sagt die Nahost-Kennerin. Wie schon in der Vergangenheit.
Zögerliche Annäherung
Der Handel zwischen Nachbarn lieferte der Regierung Netanjahu «die sprichwörtliche Leiter, um vom Baum klettern zu können. Und auch die palästinensische Führung kann mitspielen.»
Allerdings haben muslimische Repräsentanten nach einer Dringlichkeitssitzung angekündigt, dass sie vorerst am Boykott des Tempelbergs festhalten wollen. Sie wollen die Fortschritte beim Abbau der Sicherheitsmassnahmen in- und ausserhalb des Al-Haram al-Scharif, wie Muslime den Tempelberg nennen, weiter beobachten.
«Smart Cameras» sollen Sicherheit garantieren
Die israelische Regierung kündigte derweil an, den Schutz der eigenen Sicherheitskräfte auf dem Tempelberg mit intelligenten Kameras gewährleisten zu wollen: Die «hochmodernen Überwachungsmethoden», so die Regierung, sollen die Metalldetektoren ersetzen.
«Israel wird sich aber etwas Zeit lassen und die Kameras nicht von heute auf morgen installieren», glaubt Günther. Sie schliesst mit einer ermutigenden Prognose: Beide Seiten hätten Interesse an einer Deeskalation, «ich bin guter Hoffnung, dass es funktionieren kann».
Streit um den heiligen Berg
Der Tempelberg (Al-Haram al-Scharif) mit dem Felsendom und der Al-Aksa-Moschee ist die drittheiligste Stätte im Islam. Juden ist der Ort ebenfalls heilig, weil dort früher zwei jüdische Tempel standen, von denen der letzte im Jahr 70 von den Römern zerstört wurde. Die Palästinenser lehnen jegliche Änderung des Status quo an der heiligen Stätte ab. Das heisst, sie beharren auf einen freien Zugang zu ihren Gebetsstätten auf dem Tempelberg ohne Kontrolle und Überwachung. |