Recep Tayyip Erdogan versteht keinen Spass: Wer ihn kritisiert, bekommt die volle Härte seines Regimes zu spüren. Der mächtige türkische Staatspräsident gebärdet sich wie ein zorniges Kind, mit dem keiner mehr spielen will. Dabei war er doch mal ein Hoffnungsträger.
Die deutsch-türkische Journalistin Cigdem Akyol beschreibt in ihrer umfassenden Erdogan-Biographie die schillernde Persönlichkeit des Machtmenschen und zeichnet den Aufstieg dieses ehemaligen Istanbuler Strassenjungen zum «Sultan von Ankara» nach.
Erdogan hat ein Team von Scannern
«Wer Kritik an Erdogan übt, ob aus beruflicher Perspektive oder privat, der muss damit rechnen, dass er Ärger mit der türkischen Regierung in Ankara oder direkt mit dem Staatspräsidenten bekommt», meint die türkische Erdogan-Biografin Cigdem Akyol ernüchternd. Die Türkei sei das westliche Land mit den meisten Journalisten im Gefängnis – momentan seien es rund 30. Es werde regelrecht gescannt und ausgesucht, wer berichten dürfe.
Der türkische Staatspräsident habe ein Team von Anwälten, von Mitarbeitern, die jeden Tag Artikel scannen, die Medien konsumieren und schauen, wer den Präsidenten in Anführungsstrichen beleidigt habe, so Akyol weiter.
Mittlerweile gibt es eine Zeitung in der Türkei, die eine Rubrik ‹Die heutige Präsidentenbeleidigung› hat, weil man darüber bei all diesem Wahnsinn auch zynisch wird.
Und wie gesagt: Es reichten Banalitäten aus, so Akyol. Eine solche Banalität könne zum Beispiel auch ein Vergleich von Erdogan mit der Figur Golum aus Herr der Ringe sein.
Am Tag der Pressefreiheit präsentiert sich die Türkei auf Platz 151 der Liste von «Reporter ohne Grenzen». Das bedeute, dass die Türkei abgerutscht sei. «Als Erdogan das erste Mal Ministerpräsident wurde, war das Land noch auf Platz 116 von 160 Staaten», betont die deutsch-türkische Journalistin.
Erdogan schafft die Pressefreiheit systematisch ab – es gibt kaum noch Pressefreiheit.
Auslandskorrespondenten bekämen in letzter Zeit vermehrt den Druck zu spüren, den unsere türkische Kollegen seit Jahren aushalten müssen, sagte Akyol im «Tagesgespräch». Es würden durch Trolle der AKP-Regierung Schmutzkampagnen betrieben. Zunehmend würden Beschwerden über die Berichterstattung erstellt und dann würden keine Presseausweise mehr ausgestellt. «Das heisst: Ankara bestimmt, wer berichtet und wer nicht. Denn ohne Presseausweis bekomme ich in der Türkei keine Arbeitsgenehmigung und bekomme auch keine Aufenthaltsgenehmigung», meint Akyol ernüchternd.
Ein Menschenfänger
Vor zwei Jahren, als Akyol mit der Biografie begann, war die Situation ganz anders. Damals gab es immer noch Hoffnung auf einen demokratischen Wandel und auf demokratische Reformen, wie Akyol erklärt. Mittlerweile habe sich die Menschenrechtssituation rapide verschlechtert.
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Über die Person Erdogan meint Akyol fast bewundernd: «Er ist ein Menschenfänger. Erdogan hat eine sehr manipulative Kraft, die Menschen einlullt.» Erdogan habe der Türkei sehr lange gut getan und habe sehr viele Reformen angestossen. Gleichzeitig habe der türkische Staatspräsident einen ganz «geschickten Schachzug vollzogen». Er wandte sich an die anatolische Mehrheit und gab ihnen eine Stimme.
Erdogan wandte sich auch an die Gläubigen und wagte den Tabubruch, eine islamische Verfassung einführen zu wollen, erklärt Akyol. «Das hat zu heftigen Debatten geführt.»
Man wagt es jetzt sogar, das Erbe von Kemal Atatürk anzukratzen.
Die Türkei feiert 2023 das hundertjährige Bestehen. Erdogan möchte in die Geschichtsbücher eingehen und dafür mache er alles, sagt Akyol. Er werde sicher nicht Macht abgeben und es sei gut möglich, dass er sich bis 2023 an der Macht halten werde. Die würde die Entwicklung der Türkei markant verschlechtern: «Die Türkei ist zu einem Durchgangsstaat für Dschihadisten geworden. Wir haben den Bürgerkrieg mit den Kurden nebenan und wir haben Terrorwarnungen in der Türkei.»