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International «G7 hat die Krim de facto aufgegeben»

Am G7-Gipfel in Brüssel gab es zwar deutliche Worte für den russischen Präsidenten Putin, Taten folgten jedoch keine. Diese Zurückhaltung könnten andere autoritäre Regime als Freibrief verstehen, ebenfalls Völkerrecht zu verletzen, sagt SRF-Korrespondent Fredy Gsteiger.

Warum die Zurückhaltung der G7 beim Thema Sanktionen gegen Russland?

Die Länder sind sich nicht einig im Ukraine-Konflikt. Die USA und Kanada wollen eine härtere Linie gegen Russland fahren. Bisher waren die Sanktionen ja weich und haben kaum wehgetan. Frankreich, Deutschland und Grossbritannien wollen aus verschiedenen Gründen eher weniger hart auftreten.

Fredy Gsteiger

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Der diplomatische Korrespondent ist stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St.Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» und Chefredaktor der «Weltwoche».

Diese Länder haben stärkere Beziehungen zu Russland. Deutschland führt intensive Wirtschaftsbeziehungen und ist insbesondere vom russischen Erdgas abhängig. Grossbritannien arbeitet im Bereich der Finanz und der Immobilien mit Russen zusammen und Frankreichs Rüstungsindustrie möchte unbedingt Kriegsmaterial, etwa Helikopterträger, nach Russland exportieren. Zudem glauben die europäischen Staaten zurzeit an eine politische Lösung. Russland zeigt eine etwas mildere Position, es zeigt sich, dass auch Putin eher zur Kooperation bereit ist.

Die Rückgabe der Krim-Halbinsel ist nun plötzlich als Forderung vom Tisch. Warum?

Die Rückgabe der Krim ist tatsächlich keine Bedingung mehr an Russland. Rhetorisch zwar schon noch, aber ehrlich haben die G7-Staaten die Krim de facto aufgegeben. Zynisch gesagt: Die Krim bringt den G7 nichts. Russland würde für die Krim einen hohen Preis zahlen, denn es will sie unbedingt. Für Westeuropa ist die Krim überhaupt nicht matchentscheidend.

Ist das nicht ein negatives Zeichen? Russland kann sich ausbreiten und Westeuropa akzeptiert das.

Es ist ein negatives Zeichen. Nicht nur an Russland, sondern auch an andere autokratische Länder. China zum Beispiel, das mit zahlreichen Inselgruppen und riesigen, rohstoffreichen Gebieten im ost- und südchinesischen Meer liebäugelt. Es könnte so verstanden werden, dass der Westen zwar die Faust im Sack macht, böse Worte spricht, aber nicht kämpft, nur um völkerrechtliche Prinzipien durchzubringen. Andererseits ist es nicht möglich, für einen Konflikt in einem fernen Land die eigene Bevölkerung für ein Eingreifen zu begeistern. Das ist der Unterschied zwischen Autokratien und Demokratien.

Es scheint, die Nato sei nicht gerüstet für einen schweren, länger andauernden Konflikt?

Das stimmt so nicht. Die Nato ist stärker als Russland, mit modernerer Ausrüstung und wohl auch besser ausgebildeten Streitkräften. In Russland ist nur ein kleiner Teil der Armee wirklich state-of-the-art. Die Frage ist eher: Will die Nato ihre Kräfte, die sie hat, in eine Schlacht werfen, mit hohen Kosten und möglichen Toten? Kriege haben immer die Tendenz, länger zu dauern als geplant. Und Russland ist doch eine potente Macht.

Es war aber auch die Rede davon, dass die Nato im Ernstfall zu langsam und träge wäre.

Wir sprechen hier hypothetisch von einem Krieg gegen Russland. Einige Wochen für Kriegsvorbereitungen: das ist nicht langsam. Man muss Soldaten aufbieten, Material hinbringen, Kriegsschiffe ins Schwarze Meer beordern. Es ist eine naive Vorstellung, dass die Nato innerhalb von 24 Stunden bereit sein könnte. So funktionieren heutige Kriege nicht.

Auch wenn Krieg keine Option ist – die östlichen Grenzstaaten wie Polen oder das Baltikum wünschen sich zumindest eine höhere Präsenz vor Ort. Deutschland hingegen tritt auf die Bremse.

Das Bedrohungsgefühl ist dort viel grösser als in Deutschland und anderswo in Westeuropa. Man hat in Osteuropa viel stärker das Gefühl, die Angst, Putin könne einem Machtwahn verfallen. Deswegen will Polen und das Baltikum die Rüstung hochfahren. Letztendlich geht es darum, wie die Bevölkerung eines Landes denkt und fühlt. Im Westen fühlt man sich selber nicht ernsthaft bedroht. Generell geht man davon aus, dass Putin nicht so weit gehen wird, Nato-Gebiet anzugreifen. Für ihn wäre das Risiko selber zu gross.

Und Ihre eigene Einschätzung dazu?

Obwohl Putin und seine Leute autoritäre Nationalisten sind, halte ich sie zugleich für Realisten. Er und sein Regime gehen im Fall der Ukraine sehr weit, weil das Risiko für sie dort nicht besonders gross ist. Hingegen würde es Putin fast sicher nicht riskieren, dass sich der Nato-Militärapparat gegen ihn in Bewegung setzt. Ein echter, grosser Krieg würde die russische Bevölkerung zuviel kosten, nur schon von den wirtschaftlichen Auswirkungen her. Und Putin will den grossen Rückhalt, den er derzeit in der Bevölkerung geniesst, nicht aufs Spiel setzen.

Interview: Marguerite Meyer

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