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International NSU-Morde: «Möglich, dass es noch mehr Mittäter gibt»

In Berlin wurden die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses übergeben. Einer der Akteure in dem Gremium war Clemens Binninger. SRF News Online sprach mit ihm über die Arbeit im Ausschuss, Ermittlungspannen und Ungereimtheiten bezüglich des Motivs der Täter und die Zahl ihrer Komplizen.

SRF News Online: Herr Binninger, Sie waren Leiter der CDU/CSU-Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss. Wie fällt ihr persönliches Fazit aus?

Clemens Binninger: Am Ende muss ich sagen, dass ich nicht gedacht hätte, dass da so viele Fehler gemacht wurden. Da sind die schlechte Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei, der Kompetenzstreit innerhalb der Polizei, die frühe Festlegung auf eine Ermittlungsrichtung – nämlich organisiertes Verbrechen – sowie der problematische Einsatz von V-Leuten. Das alles hätte ich in dieser Häufung so nicht erwartet.

Können sie mehr ins Detail gehen?

Zum Beispiel der Nagelbombenanschlag in Köln: Den hätte man meiner Meinung nach klären können oder sogar müssen. Bei dem Anschlag 2004 hatte man drei Infoquellen, die nur unzureichend genutzt wurden. Da ist zum einen das Video einer Überwachungskamera, welches die Täter zeigt und das nur unzureichend ausgewertet wurde. Da ist zum anderen die zentrale Sprengstoffdatei. Hier hat es keine Abfrage der Täter gegeben. Und drittens gab es kurz nach dem Anschlag ein Dossier. Darin wurden die «Begehungsformen» des neuen Rechtsextremismus – Sprengstoff, kleine Gruppen, keine Bekennerschreiben – detailliert beschrieben. Es werden Namen von Rechtsextremen genannt, denen man so etwas zutraut – unter anderem auch die von Mundlos und Bönhardt.

Gab es weitere Versäumnisse bei der Ermittlertätigkeit?

Ja. Wir wissen heute, dass die Täter in Köln den ersten Anschlagsversuch abgebrochen haben. Rund 40 Minuten später gab es dann den zweiten, aus ihrer Sicht erfolgreichen Anlauf. Die Täter müssen die Zeit in einer angrenzenden Strasse überbrückt haben. Eine Streife war damals in der Nähe. Doch die Beamten wurden nicht vernommen.

Wie verlief die Zusammenarbeit zwischen Verfassungsschutz und Polizei?

Man muss zunächst wissen, dass Verfassungsschutz und Polizei rein rechtlich voneinder getrennt sind. Da gibt es strenge Regelungen. Aber nichtsdestotrotz war die Zusammenarbeit insbesondere von Seiten des Verfassungsschutzes unzureichend.

Was sollte die Konsequenz daraus sein?

Wir bräuchten eine übergeordnete Stelle, die das Sagen hat und weisungsbefugt ist, wenn es über Landesgrenzen geht. Wir brauchen eine bessere Struktur der zur Verfügung stehenden Daten, klare Regelungen für den Einsatz von V-Leuten und eine neue Sensibilität für Rechtsextremismus. Denn rückblickend muss man sagen, dass man die Militanz der Szene komplett unterschätzt hat. Zudem müsste es bei schweren Verbrechen, bei denen ein Ausländer Opfer geworden ist, in Zukunft zwingend sein, dass auch die fremdenfeindliche Spur verfolgt wird.

Es gibt Stimmen – auch von ernstzunehmenden Experten und Journalisten – dass das Trio nicht allein gehandelt haben kann. Teilen Sie das?

Es ist durchaus möglich, dass es noch Mittäter gab. Es sitzen ja neben Frau Zschäpe auch noch weitere Personen auf der Anklagebank. Inwieweit sie oder auch noch andere Personen in den Fall involviert sind, muss man sehen.

Hat eine staatliche Behörde schützend die Hand über das Trio gehalten?

Das können wir ausschliessen. Ein bewusstes Einwirken von Behörden gab es nicht, da sind wir uns im Ausschuss fraktionsübergreifend einig.

Aber dennoch gibt es doch Merkwürdigkeiten rund um die Taten und Täter?

Es gibt durchaus eine Reihe von Dingen, die auch mir nicht plausibel sind. Insbesondere der Fall des Polizistenmordes in Heilbronn hinterlässt viele offene Fragen. Allerdings halte ich nichts von Verschwörungstheorien. Äusserungen diesbezüglich von mir könnten deshalb missverstanden werden. Aus diesem Grund möchte ich mich nicht weiter dazu äussern.

Viele offene Fragen: Werden wir jemals Antworten darauf erhalten?

Im Moment sieht es nicht so aus. Entscheidend wird sein, ob sich Beate Zschäpe im Prozess äussern wird. Sie ist die Einzige, die Licht ins Dunkel bringen kann. Vor allem für die Opfer und Hinterbliebenen hoffe ich deshalb, dass sie sich doch noch eines Besseren besinnt und aussagt. Aber ich warne vor überzogenen Erwartungen, bezüglich der Klärung der Taten – auch wenn ich mir das persönlich wünschen würde.

(Das Gespräch mit Clemens Binninger wurde am 5.6.2013 geführt.)

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Clemens Binninger leitet die Arbeit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Untersuchungsausschuss. Für sein courgiertes Auftreten im Gremium erntete er nicht nur Lob, sondern auch Kritik aus den Reihen der eigenen Partei. Vor seiner Tätigkeit als Parlamentarier arbeite Binninger unter anderem als Polizeikommissar.

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