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International Slowakei übernimmt EU-Ratsvorsitz – schaffen die das?

Mitten in der noch jungen Brexit-Krise übernimmt die Slowakei erstmals in der Geschichte den EU-Ratsvorsitz. Wie wird sich das Land einbringen, dessen Regierung in letzter Zeit als entschiedener Gegner einer gemeinsamem EU-Flüchtlingspolitik aufgetreten ist?

Slowakei übernimmt EU-Vorsitz.
Legende: Bewegte Zeiten. Der slowakische Premier Robert Fico (L) und EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker. Keystone

Vor dem Hintergrund von Brexit übernimmt die Slowakei von den Niederlanden den EU-Ratsvorsitz bis Ende Jahr. Wegen Brexit hatte die Regierung ihr Vorsitzprogramm erst gestern präsentiert.

Aussenminister Miroslav Lajcak machte dabei deutlich, dass es ein «Europa á la carte» nicht geben könne und 28 bilaterale Verträge mit Brüssel das Ende der EU bedeuteten. Was ist vom slowakischen EU-Ratsvorsitz in den nächsten sechs Monaten zu erwarten? Eine Einschätzung von Osteuropa-Korrespondent Urs Bruderer.

SRF News: Ist die Slowakei genügend gerüstet für diese heisse Phase in Brüssel?

Urs Bruderer: Davon gehe ich aus. Die Slowaken kennen den Terminplan schon lang und bereiten sich seit Monaten, wenn nicht Jahren darauf vor. Die slowakische Diplomatie dürfte also gut vorbereitet sein. Etwas anders sieht es in der Regierung aus, wo der Innenminister mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, die sich hartnäckig halten. Auch ist eine der Kleinparteien der Koalition faktisch zerfallen. Aber auch wenn nicht alles zum Besten steht, wird sich die Regierung wohl durch diese sechs Monate durchwursteln können.

Wird die Slowakei in Brüssel die Verhandlungen rund um den Brexit führen müssen?

Das schliesse ich aus. Es ist noch nicht einmal klar, wann die Verhandlungen starten. Ebenso wenig, wer sie führen wird – die EU-Kommission oder der EU-Rat als Vertretung der Mitgliedsländer. Falls es tatsächlich in diesem Jahr unter dem EU-Rat losgeht, wären nicht die Slowaken, sondern die Brüsseler Profi-Verhandler im Einsatz. Die Slowakei könnte allenfalls bei der Koordination der Mitgliedstaaten für ein Mandat organisierend eingreifen.

Welcher Kurs ist von der Slowakei in einem solchen Fall zu erwarten?

Das ist im Detail noch nicht so klar. Klar ist bisher nur, dass Premier Robert Fico die Brexit-Abstimmung als Wasser auf seine EU-kritische Mühle sieht. Unmittelbar nach der Abstimmung betonte er, die EU müsse das Referendum respektieren und grundsätzlich über die Bücher gehen. Was das bei den Verhandlungen mit den Briten heissen könnte, ist noch nicht absehbar.

Neben dem Brexit dominiert die Flüchtlingsfrage die Agenda der EU. Wird die Slowakei ihre harte Haltung im Dossier einbringen?

Das wird die Slowakei sicher tun, hat sie doch vor Ungarn den Mehrheitsentscheid der EU-Minister für eine Quote zur Flüchtlingsverteilung vor den Europäischen Gerichtshof gezogen. Die Slowaken versprechen jetzt, auch in diesem Dossier ein fairer Gesprächsleiter zu sein, der lösungsorientiert vorgeht und nicht blockiert. Ich denke, dass die Slowakei das tun wird. Die 27 beziehungsweise 26 anderen Länder werden ihr auf die Finger schauen.

Ist die Slowakei eher für die Integration in der EU oder eher dagegen?

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Slowakei übernimmt EU-Ratsvorsitz
aus SRF 4 News aktuell vom 01.07.2016.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 30 Sekunden.

Die slowakische Bevölkerung ist laut Umfragen noch immer eine grosse Anhängerin der EU. Die Flüchtlingskrise und die vor allem vom Premier und seiner Partei während des Wahlkampfes betriebene harte Angstkampagne gegen Flüchtlinge hat zwar dem EU-Enthusiasmus einen gewissen Dämpfer versetzt. Aber sie hat die EU-Begeisterung nicht zerstört. Wie überall in den östlichen EU-Ländern wissen die Leute ziemlich gut, wie sehr ihr Land von der EU profitiert.

Ist der Ratsvorsitz reines Prestige für das Land oder doch mehr?

Die einzelnen Länder machen jeweils ein grosses Brimborium um diesen Vorsitz. Den übrigen ist es meist ziemlich egal. Die Diplomaten können bei ihren Kollegen in Brüssel einen gewissen Eindruck hinterlassen. So hat etwa die irische Ratspräsidentschaft mit ihrer grossen Energie viele Leute beeindruckt. Die mitten in der Krise steckenden Griechen nahmen es mit dem Vorsitz nicht so streng. Man steht ein bisschen in Brüssel bei seinen Diplomatenkollegen im Schaufenster. Man wird ein bisschen wahrgenommen, aber das geht auch wieder vorbei.

Das Gespräch führte Susanne Schmugge.

Einschätzung von SRF-Brüssel-Korrespondent Sebastian Ramspeck

Bis Ende Jahr leitet das Land die Sitzungen der EU-Minister und der Botschafter in Brüssel und legt die Traktanden fest. Die slowakische Regierung kann die Prioritätensetzung der EU massgeblich beeinflussen.
In der Flüchtlingspolitik verfolgt die Slowakei einen harten Kurs; ähnlich wie Ungarn oder Polen – Vorschläge für ein gemeinsames Asylwesen dürften es unter der slowakischen Präsidentschaft noch schwerer haben. Eigene Themen zu setzen dürfte der Slowakei schwer fallen, denn die EU ist seit Jahren schon im Krisenmodus, statt zu agieren muss sie reagieren: nicht nur auf die Flüchtlingskrise, sondern etwa auch auf die russische Expansionspolitik und auf die Eurokrise, die jederzeit wieder aufflammen kann.
Die Slowakei wird für die EU-Zentrale in Brüssel ein unangenehmer Partner sein, insbesondere für die Kommission von Jean-Claude Juncker. Als Nettoempfänger von EU-Geldern ist die Slowakei zwar keinesfalls gegen die EU, aber sie gehört zu den Ländern, die möglichst viel Macht bei den Mitgliedsstaaten, bei den nationalen Regierungen behalten wollen. Der Transfer von Kompetenzen nach Brüssel lehnt sie ab.
Überschattet wird die slowakische Ratspräsidentschaft vom Brexit. Dieser birgt für die kommenden Monaten erhebliches Konfliktpotenzial. Im September soll an einem Sondergipfel in der slowakischen Hauptstadt Bratislava die Zukunft der EU nach dem Austritt Grossbritanniens beraten werden. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico sagte gestern: «Die Richtungsentscheide für die Zukunft Europas dürfen nicht von zwei oder drei Mitgliedsstaaten getroffen werden.» Eine unverhohlene Kampfansage an Merkel, Hollande & Co.

Urs Bruderer

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Portrait von Urs Bruderer

Der Journalist wirkt seit 2006 für SRF, zunächst als Produzent der Sendung «Echo der Zeit». 2009 wurde er EU-Korrespondent in Brüssel. Seit 2014 berichtet Bruderer aus Osteuropa. Er hat Philosophie und Geschichte studiert.

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