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Die russische Trollfabrik in Sankt Petersburg
Aus International vom 20.02.2017.
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Russlands Informationskrieg So funktioniert eine Troll-Fabrik

Moderne Konflikte werden immer häufiger als Propagandakriege ausgetragen. Ein ehemaliger Mitarbeiter einer solchen russischen Propaganda-Institution gibt Einblick in den «Kosmos von Desinformation und Manipulation».

Die Propaganda-Fabrik: Ein unscheinbares Büro-Gebäude im Norden von St. Petersburg. Sawuschkin-Strasse Nummer 55, hier liegt eine der Kommando-Stellen in Russlands Informationskrieg, die einstige «GmbH für Internet-Forschung». Es ist eine geheimnisvolle Firma. Sie hat mehrfach den Namen gewechselt und es ist unklar, wie sie jetzt genau heisst. Eine Medienstelle für Anfragen gibt es nicht. Als «Troll-Fabrik» wird das Unternehmen auch bezeichnet. Hunderte so genannter Trolle sollen hier arbeiten, Leute, die gegen Bezahlung das Internet mit prorussischen und kremlfreundlichen Kommentaren fluten. Wie die Troll-Fabrik funktioniert, weiss man nur deshalb, weil mehrere ehemalige Mitarbeiter auspacken.

Im Grunde geht es darum, die Realität zu verzerren. Es wird der Anschein erweckt, dass die Mehrheit der Russen die Politik des Kremls unterstützt.
Autor: Vitali Ehemaliger Arbeiter in einer Troll-Fabrik

Was ist ein Troll?

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Als Troll bezeichnet man im Internet-Jargon eine Person, die ihre Kommunikation im Internet auf Beiträge beschränkt, die auf emotionale Provokation anderer Gesprächsteilnehmer zielt. Dies erfolgt mit der Motivation, eine Reaktion der anderen Teilnehmer zu erreichen.

Der «Text-Redaktor»: Einer dieser Ex-Trolle ist Vitali, ein hagerer junger Mann. Seinen Nachnamen möchte er für sich behalten. «Ich habe im September 2014 angefangen, in der Troll-Fabrik zu arbeiten. Erst wusste ich gar nicht, was das für eine Firma ist. Es hiess nur, ich müsse «Texte redigieren», in der Stellenbeschreibung stand, ich sei «Content-Manager». Man hat mir einen Monatslohn von 45'000 Rubel angeboten, rund 750 Dollar, das ist eine Menge Geld für eine solche Arbeit.»

So wird gearbeitet: Vitali wurde in die Abteilung «Ukraine» eingeteilt. Die Krise im Nachbarland war gerade in einer heissen Phase und Vitali arbeitete für verschiedene Webseiten, die sich teilweise als ukrainische Nachrichtenportale ausgaben – in Wahrheit aber in St. Petersburg produziert wurden. Das System Troll-Fabrik war damals, so beschreibt es Vitali, ein ganzer Kosmos von Desinformation und Manipulation.

  • «Im ersten Stock an der Sawuschkin-Strasse sassen ich und meine Kollegen, wir machten Webseiten mit Informationen über den Konflikt.»
  • «Im zweiten Stock sassen Karikaturisten, die Dinge zeichneten, wie ein Bild Obama, der eine Karte der Ukraine aufisst. Und darunter stand dann der Satz: ‹Dasselbe kann auch mit Russland passieren, wenn wir ihn nicht aufhalten›».
  • «Im dritten Stock war die grösste Abteilung untergebracht, die Kommentar-Schreiber, die für Facebook und andere soziale Netzwerke Kommentare verfassten.»
  • Eine weitere Etage besetzten die Blogger, die sich zum Teil als Ukrainer ausgaben. Vitali sagt, es sei schwierig gewesen, mit anderen Mitarbeitern der Troll-Fabrik ins Gespräch zu kommen. Er vermutet aber, dass diese Blogger zum Teil als eigentliche Nachrichtenproduzenten agiert haben.

Drohanrufe ohne Folgen

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Vitali hat nach einigen Monaten gekündigt. Danach sammelte er Informationen über die Troll-Fabrik, um diese öffentlich zu machen. Er sprach mit russischen Journalisten, die einen Artikel über das Unternehmen publizierten. Vitali bekam danach einige anonyme Drohanrufe, passiert ist ihm aber nichts. Er arbeitet heute als Wirtschaftsjournalist.

So funktioniert das System: Ein Blogger zum Beispiel schreibt gemäss Vitali einen ziemlich frei erfundenen Beitrag über die angeblich schrecklichen Zustände in der Ukraine – die Nachrichtenportale der Troll-Fabrik greifen diesen vermeintlichen «Augenzeugenbericht» auf – und machen daraus einen Artikel. Eine Art Perpetuum Mobile der Propaganda. «Die Troll-Fabrik macht gefälschte Nachrichten-Websites, sie lässt Leute im Internet Kommentare schreiben, die echt aussehen sollen, aber es nicht sind. Im Grunde geht es darum, die Realität zu verzerren. Es wird der Anschein erweckt, dass die Mehrheit der Russen die Politik des Kremls unterstützt.»

Wer steckt dahinter? Vitalis Erzählungen über die Troll-Fabrik bestätigen andere ehemalige Mitarbeiter, etwa die Journalistin Alexandra Garmaschapova. Sie hat sich für die regierungskritische Zeitung «Novaja Gaseta» als Undercover-Reporterin bei der Troll-Fabrik beworben und ebenfalls kurz dort gearbeitet. Sie recherchierte auch viel über die Hintermänner des «Wahrheitsministeriums», wie die Firma an der Sawuschkin-Strasse ironisch genannt wird.

Es gibt viele Indizien, die auf Prigozhin hinweisen. Er selber hat bisher weder bestritten noch bestätigt, dass er die Troll-Fabrik finanziert. Er schweigt einfach.
Autor: Alexandra Garmaschapova Journalistin

Für Garmaschapova gibt es kaum Zweifel, dass hinter dem Unternehmen Ewgeni Prigozhin steht. Der Mann betreibt ein Catering-Unternehmen, das unter anderem Gäste im Kreml bewirtet. Daher stammt auch sein Übername: Putins Koch. Der schwerreiche Unternehmer konnte zudem sehr lukrative Staatsaufträge ergattern: Prigozhin liefert Essen in Schulen und an die Armee.

Auch auf eine Anfrage von SRF hat Prigozhins Firma nicht reagiert. Warum aber soll ein Catering-Unternehmer viel Geld aufwerfen für eine Internet-Propaganda-Maschine? Journalistin Garmaschapova erklärt es sich so: «Prigozhin hat enge Verbindungen zum Kreml und sein Reichtum hängt davon ab, dass Putin weiter an der Macht bleibt. Er verdient grosse Summen mit staatlichen Aufträgen, die er auf undurchsichtige Weise erhält. Er finanziert die Troll-Fabrik also faktisch mit staatlichen Geldern.»

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