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Von 1600 Jesidinnen fehlt immer noch jede Spur
Aus Rendez-vous vom 24.08.2017. Bild: Reuters
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Gewalt an Jesidinnen in Irak Vergewaltigt, versklavt, verschwunden

Die Leiden der Mütter und ungewollten Kinder des Terror-Kalifats sind unermesslich. Tausende warten auf Gerechtigkeit.

Das Wichtigste in Kürze

  • Tausende oder gar Zehntausende Frauen und Mädchen sind nach einem neuen UNO-Bericht im Irak von Angehörigen der Terrormiliz IS entführt, vergewaltigt und versklavt worden.
  • Das UNO-Menschenrechtsbüro in Genf fordert von der irakischen Regierung die Bestrafung der Täter und die Unterstützung sowie eine Wiedergutmachung für die Opfer.
  • Dabei geht es auch um die Kinder vergewaltigter Frauen, die oft keine Geburtsurkunden haben.
  • Die UNO nennt keine Gesamtzahlen. Allein aus der Minderheit der Jesiden seien seit August 2014 über 3500 Frauen und Mädchen entführt worden. Von gut 1600 fehlt bisher jede Spur.

SRF-Nahost-Korrespondent Philipp Scholkmann erklärt, was nun für die Frauen und Kinder getan wird, welche Probleme dabei bestehen – und ob die Täter je zur Rechenschaft gezogen werden können.

SRF News: Wie leben die jesidischen Frauen heute, die den Peinigern des IS entkommen konnten?

Philipp Scholkmann: Manche sind in spezieller Betreuung. Extrem schwierig bleiben die Umstände angesichts der schrecklichen Erlebnisse für alle. Es fehlt vielfach das soziale Netz, wie etwa eine intakte Familie, die sie in die Arme schliessen und auffangen könnte. Es wurden auch Tausende jesidische Männer getötet und ganze Dorfgemeinschaften vertrieben. Zehntausende jesidische Familien leben noch immer als Flüchtlinge, wie ich vor ein paar Wochen bei meiner letzten Reise in den Nordirak gesehen habe. Viele verharren in der Ungewissheit in Zeltlagern unter grossen Entbehrungen. Dieses Umfeld erschwert die Lage für die Opfer sexueller Gewalt zusätzlich.

Was ist aus der Initiative aus Deutschland geworden, die über 1000 jesidische Mädchen und Frauen aufnehmen und betreuen wollte?

Die Initiative läuft und fand sogar Nachahmer. Das schreckliche Los der Jesidinnen hat international einen Schock und damit genügend Aufmerksamkeit ausgelöst. Es gibt also durchaus Lichtblicke mit medizinischer und psychologischer Hilfe und materieller Unterstützung vor allem im Ausland. Doch auch im Nordirak selber engagieren sich vor allem im Kurdengebiet Leute der lokalen Zivilgesellschaft. Dort fühlt man sich von der Volksgruppe her eher verbunden mit den Jesidinnen. Das bleiben aber nur kleinste Schritte.

Welchen Status haben die Jesidinnen heute im Irak – und dabei vor allem auch die Kinder, die aus Zwangsverbindungen mit IS-Kämpfern geboren sind?

Philipp Scholkmann

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Scholkmann ist Nahost-Korrespondent bei Radio SRF. Vor seiner Tätigkeit im Nahen Osten war er Korrespondent in Paris und Moderator bei «Echo der Zeit».

Sie haben keinen Status. Es besteht vielmehr das Risiko, dass sie noch zusätzlich stigmatisiert und ausgegrenzt werden. In diesen Gesellschaften sind Ehre und Schande zentrale Begriffe. Das gilt auch für die Kinder, die von Anfang an als «Brut von Terroristen» betrachtet werden. Der UNO-Bericht weitet da den Blick über die versklavten Jesidinnen hinaus auf alle Frauen, die verheiratet waren und Kinder unter der IS-Herrschaft hatten und jetzt ohne Papiere oder mit wertlosen des Terror-Kalifats dastehen.

Der UNO-Bericht verlangt, dass die Kinder quasi «legalisiert» werden – was bedeutet das?

Dass zum Beispiel juristische Mechanismen gefunden werden, um solche Verhältnisse in irakisches Recht überzuführen. Dass also die betroffenen Frauen ihre Ehen eintragen oder annullieren können, ohne in die Schande zu geraten, mit einem Terroristen verheiratet gewesen zu sein oder uneheliche Kinder zu haben. Für die Kinder verlangt der UNO-Bericht ein Recht auf ein neues, eigenes Leben. So könnte laut einem Vorschlag – entgegen der üblichen Praxis – nicht die Religion und Volksgruppe des Vaters, sondern jene der Mutter eingetragen werden.

Wie gross ist die Chance, dass dies gelingt?

Irak ist alles andere als ein Rechtsstaat, was skeptisch stimmt. Zugleich gibt es aber eine Reihe von Bekenntnissen der Regierung in Bagdad wie auch von Stammesältesten, dass man das Problem erkannt hat. Das ist im irakischen Kontext möglicherweise sehr wichtig. Ein Ziel des UNO-Berichts ist es, die Behörden und Scheichs an ihre Versprechen zu erinnern. Illusionen machen darf man sich nicht. Inmitten der allgemeinen Zerrüttung des Iraks haben die Nöte von Opfern sexueller Gewalt sicher keine Priorität.

Werden die Täter in absehbarer Zeit vor ein Gericht gestellt, etwa im Irak?

Es gibt bereits heute Sondergerichte für IS-Täter. Aber auch hier gilt: Irak ist kein Rechtsstaat und viel wird über Arrangements oder Abrechnungen laufen. Oder auf den Schlachtfeldern in den Offensiven gegen die letzten Reste des Terror-Kalifats. Da können die Dschihadisten mit keinerlei Pardon rechnen. Dafür ist der Hass gegen sie in zu grossen Teilen der Bevölkerung zu gross. Das hat aber nichts zu tun mit den rechtsstaatlichen Verfahren, welche die UNO einfordert. Aber für die jesidischen Mädchen und Frauen ist es wohl dennoch eine gewisse Genugtuung.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

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