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International Wird Polen das nächste Ungarn?

Die neu gewählte nationalkonservative Regierung in Polen baut den Staat um – und das in Rekordgeschwindigkeit. Ihr Vorbild: der ungarische Premier Viktor Orban.

Seit die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen an der Macht ist, lässt sie keinen Stein auf dem anderen. Über die Festtage hat die nationalkonservative Regierung ein neues Mediengesetz verabschiedet, das es ihr erlaubt, die Chefs der öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsender abzusetzen und gegen eigene Leute auszutauschen. Bereits ausgewechselt wurden die Geheimdienstchefs und viele Direktoren von Staatsfirmen. Davor hatte die PiS – trotz heftigen Protesten – noch das Verfassungsgericht entmachtet.

Das Vorgehen der polnischen Regierungspartei erinnert an Ungarn. Dort hat Premierminister Viktor Orban in den letzten Jahren die Verfassung umschreiben lassen, wichtige Posten in Wirtschaft und Politik mit Vertrauten besetzt und die Kontrolle über die staatlichen Medien übernommen. Ist Polen nun ebenfalls auf dem Weg dazu?

Kai-Olaf Lang

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Kai-Olaf Lang ist Politikwissenschafter und arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Zu seinen Spezialgebieten gehören Mittel- und Osteuropa sowie die EU-Erweiterungspolitik.

Den Staat ausmisten

Ganz so einfach ist es nicht. Zwar gibt es zwischen den beiden osteuropäischen Ländern durchaus Parallelen, wie Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ausführt. «Die politische Ausgangslage in Polen ist ähnlich wie vor fünf Jahren in Ungarn, als Orban gewählt wurde», sagt Lang. Sowohl Orban als auch Jaroslaw Kaczynski – der zwar nicht kandidierte, aber im Hintergrund bei der PiS die Fäden zieht – kritisierten, die Transformation des Staates nach 1989 sei im Sand stecken geblieben: Viele Stellen in Staat und Wirtschaft seien von Ex-Kommunisten besetzt. Nun gelte es, auszumisten.

Sowohl Orban wie Kaczynski versprachen ihren Wählern zudem eine gerechtere Verteilung der wirtschaftlichen Einnahmen. In Polen richtete sich die PiS damit vor allem an die Leute in ländlichen Regionen, die vom Aufschwung des Landes kaum profitiert haben. Und in Ungarn hatten die Sozialisten das Land so heruntergewirtschaftet, dass die Regierungspartei ohnehin völlig diskreditiert war.

Gegen Homo-Ehe und Multikulti

Auch gesellschaftspolitisch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der ungarischen Fidesz-Partei von Viktor Orban und der polnischen PiS. «Beide Parteien vertreten ein christlich-konservatives Wertebild und wollen die Gesellschaft vor dem angeblich schädlichen Einfluss des europäischen Mainstream schützen», sagt Lang. Von Multikulti und Homo-Ehe wollen beide Regierungsparteien nichts wissen; stattdessen pflegt man den Katholizismus (in Polen) und den Nationalismus (in Ungarn).

Ulrich Schmid

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Ulrich Schmid ist Professor an der Universität St. Gallen. Er forscht unter anderem zu Politik und Medien in Russland sowie zu Nationalismus in Osteuropa.

Dazu kommt: Beide Parteien teilen eine gewisse Abneigung gegen die EU. «Wenn an der ersten Pressekonferenz der neu gewählten PiS-Regierungschefin Beata Szydlo auf einmal die EU-Flagge fehlt, ist das ein klares Statement», sagt Osteuropa-Experte Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen. Und schliesslich haben die polnischen Nationalkonservativen selber aus ihrer Bewunderung für Orban kein Geheimnis gemacht. «Die neue Regierung hat deutlich gesagt, dass man sich den nationalistischen Kurs Ungarns zum Vorbild nimmt», so Schmid.

Freie Bahn für Orban

Dennoch: Zwischen den beiden Ländern gibt es bedeutende Unterschiede. «In Ungarn konnte Orban lange auf eine Zweidrittelmehrheit zählen und damit Gesetze beschliessen, die praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden können», sagt Kai-Olaf Lang. In Polen dagegen verfügt die Regierung «nur» über die absolute Mehrheit.

Auch die Rolle der Opposition sei in Ungarn eine ganz andere als in Polen. «In Ungarn ist die Opposition völlig zerstritten und kommt nicht auf die Beine.» Von ihrer Niederlage vor fünf Jahren habe sie sich noch immer nicht erholt. Ganz anders in Polen: «Dort gibt es zwei vitale Oppositionsparteien», sagt Lang. Dazu zähle neben der abgewählten Bürgerplattform (PO) auch die neu formierte wirtschaftsliberale Partei Nowoczesna.

Skepsis gegenüber dem Staat

Für den Berliner Politologen gibt es noch einen weiteren wichtigen Unterschied zwischen den beiden Ländern. «In Polen gibt es eine Tradition des Aufbegehrens gegenüber dem Staat.» Dabei handle es sich gewissermassen um «eine eingebaute Skepsis und die Haltung, dass man sich nicht alles gefallen lässt». Auch das trage bis zu einem gewissen Grad dazu bei, die Macht der Regierung einzuschränken.

Wie es mit Polen weitergeht, hänge nicht zuletzt davon ab, wie sehr die PiS dem ungarischen Fidesz nacheifere, sagt Lang. In Budapest propagiert die Regierung ein Schwarz-Weiss-Denken, in dem die Opposition als Gegner verunglimpft wird. So habe sich mit der Machtergreifung des Fidesz in Ungarn auch die Demokratie verändert, fügt der Berliner Politikwissenschaftler an. «Ungarn ist heute eine antagonistische Mehrheitsdemokratie: Weil man die Mehrheit des Volkes hinter sich weiss, nimmt man sich das Recht heraus, tiefgreifende Veränderungen durchzuführen.» Und zwar, ohne dabei Rücksicht auf Minderheiten zu nehmen.

Enttäuschte Wechselwähler

Auch Kaczynski beruft sich auf den Volkswillen, wenn er die Macht der Richter beschneidet. Doch ist es keineswegs sicher, ob ein solch polarisierender, konfrontativer Regierungsstil in Polen ankommt. «Nicht alle PiS-Wähler sind nationalistisch oder religiös-konservativ. Viele Leute haben die Partei gewählt, weil sie von der regierenden Bürgerplattform enttäuscht waren», sagt Lang. Entsprechend sei die ständige Beleidigung des politischen Gegners weniger akzeptiert.

Audio
EU erhöht den Druck auf Polen
aus Echo der Zeit vom 03.01.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 55 Sekunden.

Wichtiger als Regierungsstil und Wählerumfragen sei im Moment aber ohnehin ein anderer Faktor, sagt Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen: Nämlich die Reaktion der EU-Kommission auf die Verabschiedung der umstrittenen Gesetze. Brüssel droht damit, Warschau unter Aufsicht zu stellen, falls die Regierung daran festhält. «Doch die PiS weiss, dass sie auf die EU und deren Geld angewiesen ist. Daher wird sie es sich mit Brüssel nicht verscherzen», sagt Schmid. So hat die Regierung bereits angekündigt, die Gesetzesänderung für das Verfassungsgericht der Venedig-Kommission des Europarats vorzulegen. Dieses Gremium soll prüfen, ob das neue Gesetz die Gewaltenteilung verletzt.

Sowohl für Schmid wie auch für Lang ist überdies klar: Beim Angriff auf die Gerichte und die Medien handelt es sich nicht um ein typisches osteuropäisches Phänomen. «Dieselben Tendenzen sind bei vielen Rechtsparteien in ganz Westeuropa zu beobachten», sagt Schmid. «Man denke nur an die SVP-Durchsetzungsinitiative in der Schweiz: Sie will die Gerichte entmachten und beruft sich dabei auf den Volkswillen.»

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