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Kritik aus Kenia an Berner Jagdtrophäen
Aus SRF 4 News aktuell vom 09.05.2017.
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Koloniales Relikt Der Elefant des Anstosses

Für Generationen von Berner Kindern liegt Afrika ganz nah. Im dortigen Naturhistorischen Museum gibt es allerlei Exponate vom Äquator zu sehen. Weniger begeistert davon ist man auf dem Schwarzen Kontinent.

An der Berner Archivstrasse ist die Welt noch übersichtlich. Der Amazonas liegt im ersten Stock, Asien im Keller und Afrika im Parterre. Aus einem Lautsprecher plärren Massai-Gesänge. In den Vitrinen ist Gefiedertes und Gepanzertes zu bestaunen, Glattes und Schuppiges. Tote Käfer, Mambas und Affen sind ausgestellt – und dazwischen ein riesiger Elefant. Seit fast 90 Jahren steht er in Bern und fasziniert die Kinder bis heute.

Ein Elefant in Nahaufnahme.
Legende: Der «Berner Elefant» erregt auch heute noch die Gemüter in Afrika. zvg

Ein Elefant aus Kenia

Der Elefant stammt aus Meru in Kenia. Das Städtchen liegt 7000 Kilometer südlich von Bern, ziemlich exakt auf dem Äquator. Heute ist Meru ein lärmiges, staubiges Durcheinander aus Strassenhändlern, verbeulten Kleinbussen, mit Bananen beladenen Lastwagen und Ziegen auf der Strasse. 1926, als die Grosswildjäger kamen, war Meru noch ein Kaff mitten im Regenwald.

Die damaligen Jäger aus der Schweiz waren die Berner Patrizier Bernard von Wattenwyl und seine Tochter Vivienne. Von Wattenwyl wollte «die Leidenschaft mit dem Nützlichen verbinden». Seine Leidenschaft war es, wilde Tiere zu jagen. Das Nützliche dabei war in seinen Augen, das heimatliche Museum mit möglichst viel exotischem Tiermaterial zu versorgen.

Eine wie ein mächtiger Granitblock gewölbte Stirn und riesige, friedlich gegen die Schultern zurückgelegte Lauscher.
Autor: Vivienne von Wattenwyl Berner Grosswildjägerin in Afrika 1926

Imposantestes Stück sollte ein Elefantenbulle sein. Wochenlang streiften die weissen Jäger mit ihren schwarzen Trägern, Köchen, Fährtensuchern und Abhäutern durch die Wälder. Dann der Abschuss. In ihrem Tagebuch beschreibt Vivienne von Wattenwyl, wie sie den Bullen mit einer Büchse zur Strecke brachten.

«Ungläubig staunend standen wir vor ihm und zweifelten, ob wir nicht träumten. Doch er war greifbar vor uns, seine wie ein mächtiger Granitblock gewölbte Stirn, die riesigen, friedlich gegen die Schultern zurückgelegten Lauscher, und um seinen, rauhen, noch warmen Rüssel hing ein Duft, der an Brombeeren erinnerte. So verloren und zusammengeschrumpft lehnte er da, dass ich ihn hätte liebkosen mögen.»

Schwarze Männer und Frauen um einen daliegenden Elefanten, dem die Haut abgezogen wird.
Legende: Afrikanische Helfer ziehen dem von Vivienne von Wattenwyl erschossenen Elefanten die Haut ab. zvg

Elefanten besser in Afrika bestaunen?

In Meru riecht es heute nach Diesel und Kuhdung. In den Wäldern am Hang des Mount Kenia leben aber immer noch Elefanten. Längst ist die Grosswildjagd in Kenia verboten.

Dass die Beute aus kolonialen Zeiten noch heute in europäischen Museen ausgestellt wird, stimmt den kenianischen Ex-Minister Koigi Wamwere nachdenklich. «Es ist sicher wunderbar, wenn man in Bern einen Elefanten in voller Lebensgrösse bestaunen kann, aber noch besser wäre, wenn man Elefanten in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet, in Afrika, wo dieser Elefant einst lebte.» Das Tier hätte niemals von einem weissen Grosswildjäger getötet werden dürfen, schiebt er nach.

Auch dieser Elefant wurde uns gestohlen, so wie man die Schädel meiner Vorfahren gestohlen und in Museen ausgestellt hat.
Autor: Koigi Wamwere Kenianischer Ex-Minister

Für den 68-jährigen Wamwere wäre es ein wichtiges Signal, auf solche Exponate zu verzichten. Zwar sei es sicher unbequem und teuer, wenn die Leute in Zukunft einige Tausend Kilometer reisen müssten, um einen Elefanten zu sehen, sagt er. «Mit diesem Schritt würden die Menschen in Europa aber zeigen, dass sie sich nicht mehr als Eigentümer, sondern als Teil der Natur verstehen.» So würde es besser möglich, die Tiere zu schützen.

Schwarzweiss-Aufnahme eines heranstürmenden Elefanten.
Legende: Vivienne von Wattenwyl schoss dieses Foto 1923 auf einer Safari in Afrika. zvg

Ein Kulturerbe der Menschheit?

Noch nie in Meru war Stefan Hertwig. Der Frosch-Experte ist Herr der Tiere an der Berner Archivstrasse. Hertig ist der Konservator des Berner Naturmuseums. Wie alle Präparate habe auch dieser Elefant einen grossen wissenschaftlichen Wert: «Aus der Haut kann für populationsgenetische Studien Material extrahiert werden.» Und auch den Schädel könne man untersuchen.

Allen Schädelvermessern der Welt steht dieses Objekt zur Verfügung. In dem Sinn sei dieser Elefant nicht Eigentum der Kenianer, sondern ein Kulturerbe der Menschheit. Doch bei allem wissenschaftlichen Respekt: Sind die verstaubten Jagdtrophäen des patrizischen Grosswildjägers nicht ein bisschen aus der Zeit gefallen? «Das würde ich so nicht sagen. Meines Wissens haben damals alle notwendigen Genehmigungen vorgelegen. Und sie können auch heute mit den notwendigen Genehmigungen und dem nötigen Kleingeld Jagdsafaris machen», sagt Hertwig. Zwar wisse auch er, dass der damit verbundene Beitrag zum Naturschutz und zur Finanzierung von Tierreservaten umstritten sei, trotzdem sei es aber noch heute möglich und völlig legal.

Gehört der Berner Elefant nach Afrika?

Tatsächlich sind Trophäenjagden in Ländern wie Namibia, Südafrika oder Simbabwe immer noch legal. Den kenianischen Ex-Minister macht dieser Umstand nicht glücklicher: «Für mich ist dieser Elefant ein Relikt der Kolonialzeit, während der Afrika von Europäern unterdrückt und ausgeraubt wurde. Auch dieser Elefant wurde uns gestohlen, so wie man die Schädel meiner Vorfahren gestohlen und in Museen ausgestellt hat.»

Einige dieser Schädel habe man kürzlich aus Berlin nach Afrika zurückgebracht – und das müsste auch mit dem Berner Elefanten geschehen. «Das wäre eine Geste im Sinn von ‹verzeiht, dass solches geschehen ist, wir würden es heute nicht mehr tun›», so Ex-Minister Wamwere.

Natürlich habe ich ein gewisses Verständnis für postkoloniale Traumata.
Autor: Stefan Hertwig Konservator des Naturhistorischen Museums Bern

Mit dieser Forderung kann Konservator Hertwig wenig anfangen. «Natürlich habe ich ein gewisses Verständnis für postkoloniale Traumata. Aber bevor man das diskutieren könnte, müssten dort vor Ort ja erst einmal Museen gebaut werden und das Personal ausgebildet werden.»

Der Elefant an der Archivstrasse in Bern riecht längst nicht mehr nach Brombeeren, sondern nach Formalin und Bodenwichse. Aber der Staub in den Falten der Haut könnte Staub aus Meru sein. Dort ist übrigens auch Bernard von Wattenwyl geblieben. Der Berner Grosswildjäger wurde am 30. September 1924 am Lake Edward von einem Löwen zur Strecke gebracht.

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