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Panorama Nasheed: Mit Sprechgesang in den Dschihad

Islamistische Extremisten rufen mit sogenannten Nasheeds zum heiligen Krieg gegen Ungläubige auf. Der uralte Sprechgesang wird von radikalen Islamisten in letzter Zeit vermehrt für Propaganda gebraucht. Doch: Sind Nasheed denn keine Musik?

Terrorgruppen wie der IS gebrauchen sogenannte Nasheed, eine Art Sprechgesänge, beispielsweise zur musikalischen Unterlegung ihrer Propaganda-Videos. Doch: Sind die Dschihadisten nicht gegen jegliche Musik?

Licht ins Dunkel bring der Islamwissenschaftler Benam Said aus Hamburg. Er hat die Bedeutung der jahrhundertealten Tradition der Nasheed und ihre Umbiegung durch radikalisierte Dschihadisten in den letzten Jahrzehnten untersucht.

SRF News: Woher stammen die Nasheed?

Benam Said: Die islamistischen Nasheed haben ihren Ursprung in den 1970er-Jahren. Insbesondere in der Levante und auf der arabischen Halbinsel breiteten sie sich aus und kennzeichnen damit quasi die Geburtsstunde der modernen dschihadistischen Kultur. Allerdings standen Nasheed früher nicht mit Islamismus in Verbindung, sie waren ganz normales religiöses Brauchtum.

Ähnliche Sprechgesänge gibt es auch in anderen Religionen. Das Spezielle an den Nasheed aber ist ihre politische Botschaft...

Richtig. Wie andere Religionen kennt auch der Islam Klangwelten, etwa die Koran-Rezitation oder der Ruf zum Gebet. Bei den Nasheed wurde jedoch das Feld des Religiösen verlassen, und ins Zentrum gerückt ist die Botschaft des Kampfes gegen als ungerecht empfundene Herrschaft in den muslimischen Ländern. Viele Lieder drehen sich deshalb um den Kampf, wobei etwa der Mut der eigenen Gruppe gelobt, der Dienst an der Waffe zur Tugend erklärt und der Feind als solcher genannt wird.

Manche Lieder werden auch an einem bestimmten Konflikt aufgehängt, wie etwa an der Palästina-Frage oder in den 1990er-Jahren an Bosnien. Andere Lieder handeln vom Tod eines Freundes im Kampf und sind eigentliche Trauerlieder. Die Dschihadisten knüpfen dabei oftmals auch an altbekannte Vorbilder der klassischen arabischen Dichtung an. Deshalb spreche ich auch von einem «neo-klassizistischen Dschihadismus».

Audio
Nasheeds – islamistische Propaganda-Gesänge
aus Echo der Zeit vom 19.09.2016. Bild: Symbolbild Reuters
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 29 Sekunden.

Die radikalen Islamisten verbieten alle Musik irgendwelcher Art – nun machen ausgerechnet sie Propaganda mit Liedern. Ist das denn keine Musik?

Tatsächlich würden Dschihadisten die Nasheed nicht als Musik im Sinne von Unterhaltungsmusik definieren. Allerdings sehen das wahabitisch-salafistische Kreise nicht immer so. Dort warnen gewisse Gelehrte davor, sich zu viele Nasheed anzuhören, weil sie vom Koranstudium ablenken würden. Daran sieht man auch, dass der Dschihadismus nicht aus dem Wahabismus oder Salafismus entstanden ist, sondern aus der Muslimbruderschaft.

Der Dschihadismus ist punkto Propaganda sehr gut organisiert. Welche Bedeutung haben die Nasheed innerhalb dieser Propaganda?

Sowohl die Poesie wie auch die vertonte Poesie – also die Nasheed – spielen in der dschihadistischen Propaganda eine ganz elementare Rolle, wenn sie nicht sogar eine Art Fundament dafür bieten. Wir alle wissen um die Macht von Musik. Die Dschihadisten wiederum wissen, dass sie eine Art Identität anbieten müssen. Da helfen die Nasheed, sich gegenüber den anderen abzugrenzen, etwa gegenüber der westlichen Popkultur.

Ist es möglich, den radikalisierenden, aufputschenden Nasheed andere Nasheed entgegensetzen, welche die Radikalisierung verhindern?

Tatsächlich ist das versucht worden, etwa indem die USA als Antwort auf die IS-Propagandavideos eigene, ähnlich gemachte Videos produziert haben. Allerdings scheiterte die angepeilte Wirkung daran, dass die angesprochene Gruppe bei den staatlich produzierten Filmchen die Authentizität vermisste. Besser und wichtiger ist es, die eigenen gesellschaftlichen Werte und Überzeugungen authentisch zu vermitteln und im Umgang mit dem Gegenüber in der Gesellschaft zu leben. Langfristig ist dies die geeignetste Form der Prävention gegen jeglichen Extremismus.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

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