Nach der Annahme der Alpeninitiative am 20. Februar 1994 liess es sich der Urner Landammann Hansruedi Stalder nicht nehmen, seiner Freude mittels eines Tänzchens zur inoffiziellen Urner Nationalhymne «Zogä am Bogä» Ausdruck zu verleihen. Dem lüpfigen Tanz des Regierungspräsidenten von der CVP war ein monatelanger und gehässiger Abstimmungskampf vorausgegangen.
Ogi im Kampf gegen die Urner
Beide Seiten kämpften mit Schreckensszenarien und Einschüchterungsversuchen. So warnte der damalige Verkehrsminister Adolf Ogi in der Abstimmungssendung «Arena» die Urner und speziell ihrem Wortführer Landammann Stadler ganz direkt. Stadler und sein Kanton übernähmen «eine grosse Verantwortung gegenüber dem Rest der Schweiz», falls die Initiative vom Volk angenommen werde, sagte Ogi.
Umgekehrt malten die Initianten das Schreckensbild einer Verkehrslawine an die Wand, welche die Alpen überrollt. So sprach Andreas Weissen von der Alpeninitiative von einem drohenden Anschwellen der «Transitflut». Schliesslich gebe es gemäss dem gültigen Abkommen mit der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG) keinerlei Begrenzung der Anzahl Fahrten von 28-Tonnen-Lastwagen durch die Schweiz.
Drohung aus Deutschland
Der Bundesrat wiederum warnte vor Strafmassnahmen seitens Brüssels: Die Annahme der Initiative hätte «schlimme Folgen für die Schweiz», prophezeite Ogi. Tatsächlich schaltete sich auch das Ausland in den Abstimmungskampf über die Verlagerung der Lastwagen von der Strasse auf die Schiene ein. So drohte die EG der Schweiz mit einem Lastwagenverbot auf europäischen Strassen. «Wir können keinen europäischen Egoismus akzeptieren», warnte der damalige deutsche Verkehrsminister Matthias Wissmann von der CDU.
Im Abstimmungskampf vor 20 Jahren standen auch immer wieder der Gotthard und seine sagenumwobene Geschichte im Mittelpunkt. Die Initianten der Alpeninitiative führten sogar ein Theaterstück in der Schöllenenschlucht auf, in dem sich – angelehnt an die Teufelssage – Luzifer rächt, indem er die Lastwagenlawine losschickt.
Immer wieder der Gotthard
Auch im aktuellen Abstimmungskampf, mehr als 20 Jahre nach der Alpeninitiative, dreht sich alles um das mächtige Alpenmassiv. So steht neben Kostenargumenten und der drohenden Abschottung des Tessins während der Sanierungsarbeiten wieder der mythische Berg im Mittelpunkt.
«Der Gotthard ist ein Symbol unserer Unabhängigkeit», sagte Verkehrsministerin Doris Leuthard zum Auftakt des bundesrätlichen Abstimmungskampfes für eine zweite Gotthard-Strassenröhre. Die Befürworter betonen zudem seine Kraft als Symbol der Zusammengehörigkeit der Eidgenossenschaft.
Und das Böse kommt im aktuellen Abstimmungskampf zur Sanierung des Gotthardtunnels wieder von aussen – einmal mehr in Form von europäischen Lastwagen. In einem Werbefilm gegen die Vorlage betont die Alpeninitiative das «gefährliche und falsche Signal» an die EU, falls eine zweite Röhre gebaut wird. In der EU würde dies so verstanden, dass die Schweiz auf die Strasse setze und es deshalb keinen Grund gebe, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern.
Wer hat Grund fürs Freudentänzchen?
Für die Befürworter ihrerseits ist gerade der derzeitige Zustand des Gotthardtunnels das Gefährliche. Durch den Gegenverkehr im Tunnel komme es immer wieder zu schlimmen, mitunter tödlichen Unfällen. Nur eine zweite Röhre schaffe hier mehr Sicherheit, betonte Verkehrsministerin Leuthard.
Was ist nun gefährlicher? Der Gegenverkehr für die Verkehrsteilnehmer oder die Lastwagenlawine für die Luft und die heimische Bevölkerung? Der Abstimmungskampf um die zweite Gotthardröhre hat gerade erst begonnen, es werden noch einige hitzige Wortgefechte folgen bis Ende Februar. Völlig offen ist, ob am Abend des Abstimmungssonntags Bundesrätin Leuthard oder doch wieder die Anhänger der Alpeninitiative Grund für ein Freudentänzchen haben werden.