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Schweiz Fluch der Initiative: Warum Vorgaben und Gesetz sich nie decken

Die Stimmen, eine Initiative müsse wortgetreu umgesetzt werden, werden immer lauter. Dabei müssen sie das gar nicht. Denn eine Initiative ist ein Denkanstoss. Die Gesetze formuliert das Parlament. Politologe Marc Bühlmann erklärt, wieso.

SRF News: Die Vorwürfe, Initiativtexte würden immer ungenauer umgesetzt, werden lauter und lauter. Zurecht?

Marc Bühlmann: Das ist schwierig zu sagen. Die Frage ist: Was heisst ungenau? Es kommt darauf an, wie ein Initiativtext aussieht, wie präzise er ist und ob seine Umsetzung internationale Verträge oder Beziehungen tangiert. Wenn der Text sehr präzise war, deutlich angenommen wurde und keine Auswirkungen aufs Ausland hat, ist die Umsetzung einfacher. Das kam in den letzten 100 Jahren kaum einmal vor.

Am nähesten an diese Voraussetzungen kam die Initiative der Schweizer Demokraten von 1993, die den 1. August als Nationalfeiertag festschreiben wollten. Doch sogar da kam es zu Diskussionen, weil die Schweizer Demokraten wollten, dass der Feiertag bezahlt wird. Der Bundesrat kann aber einem Unternehmen nicht vorschreiben, dass es die Angestellten bezahlen muss. Sogar diese Initiative wurde also nicht exakt so umgesetzt, wie von den Initianten gewollt.

Warum gibt es denn diese Probleme bei der Umsetzung?

Zu Marc Bühlmann

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Legende: SRF

Marc Bühlmann ist Professor für Schweizer Politik an der Universität Bern. Er stammt aus Glarus und absolvierte zunächst die Ausbildung zum Primarlehrer. Anschliessend war er als Lehrer tätig. Später studierte er Politikwissenschaften, Philosophie und Soziologie in Bern und Genf. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Die Hauptursache ist, dass es unglaublich viele verschiedene Interessen gibt. Wenn ich zu einer Initiative Ja sage und Sie sagen Ja, tun wir das nicht aus denselben Gründen. Man müsste stimmen können: «Wenn es so oder so umgesetzt wird, wäre ich dagegen…» Das Parlament muss versuchen, das Ja oder Nein zu interpretieren. Weil hier zuverlässige Informationen fehlen, wird bei den Umsetzungsvorschlägen auch auf die Argumente geschaut, die während der Kampagne besonders betont wurden.

Haben die Initianten denn überhaupt das Recht, eine wortgetreue Umsetzung ihrer Vorlage zu fordern?

Nein. Eine Initiative ist vor allem ein Anstoss. Die Idee ist, dass das Parlament aus dem Vorschlag ein Gesetz macht. Es ist nirgendwo festgeschrieben, wie dieses aussehen muss. Seit einiger Zeit werden die Initianten in den Prozess zur Gesetzesfindung miteinbezogen. Das ist nicht Pflicht, aber durchaus sinnvoll. In einer Arbeitsgruppe wird diskutiert, wohin der Weg gehen soll.

Haben sich die Initiativen oder die Initiativtexte in der letzten Zeit verändert, da die Rufe nach einer genaueren Umsetzung immer lauter werden?

Die Texte haben sich hinsichtlich Präzision über die Zeit nicht grundsätzlich verändert. Was sich verändert hat, ist, dass die Umsetzung bereits im Initiativtext mit einer Frist versehen wird. Die Initianten wollen bereits vorgeben, bis wann ihre Vorlage umgesetzt sein muss. Diese zeitliche Bindung ist umstritten. Nehmen wir als Beispiel die Alpeninitiative von 1994. Auch dort stand genau, bis 2004 dürfen nur noch 650'000 Lastwagen pro Jahr durch die Schweizer Alpen fahren. Von dieser Zahl sind wir aber weit entfernt.

Die Probleme scheinen grösser zu werden. Denn immer mehr Initiativen kommen vors Volk und immer mehr davon werden auch angenommen.

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Am 5. Juli 1891 – also vor 125 Jahren – haben Volk und Stände die Einführung der Eidgenössischen Volksinitiative beschlossen. Seither kamen 203 Volksbegehren zustande – nur 22 wurden angenommen.

Die Chance, dass eine Initiative angenommen wird, ist nicht grösser als früher. Es werden nur mehr angenommen, weil auch mehr lanciert werden. Warum es mehr gibt, ist eine gute Frage. Ich kann da nur mutmassen. Zum eine nutzen viele Parteien oder Organisationen das Instrument, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen.

Dann gibt es auch Initiativen, die aufgrund von Frust in der Bevölkerung lanciert werden mit dem Ziel, diesen Frust zu beseitigen. Oft greifen Privatpersonen zu diesem Mittel der «Ventilinitiative». Zudem hat die Polarisierung stark zugenommen. Früher kamen Initiativen meist von der linken Opposition. Heute gibt es auch eine rechtskonservative Opposition. Kleine Minderheiten stellen sich hin und tun ihre Absichten kund.

Man muss aber die vor allem vor zwei Jahren stark diskutierte «Initiativenflut» relativieren: Bei den Parlamentswahlen 2011 hat fast jede Partei die Initiative als Wahlvehikel gebraucht. Bei den Wahlen 2015 hat sich das nicht wiederholt. Die Zahl der lancierten Initiativen hat insgesamt wieder abgenommen.

Seit Jahrzehnten wurde die Anforderung an das Zustandekommen einer Initiative nicht erschwert. Es braucht noch immer 100‘000 Unterschriften in 18 Monaten. Wäre eine solche Anpassung nicht sinnvoll? Die Schweizer Bevölkerung ist ja auch gewachsen.

Ich bin eigentlich gegen eine solche Massnahme. Klar, der reine Prozentanteil der Leute, die eine Unterschrift leisten müssen, ist gemessen an der Gesamtzbevölkerung zurückgegangen. Das Sammeln der Unterschriften ist aber nicht einfacher geworden. Im Gegenteil: Früher, als es noch keine briefliche Stimmabgabe gab, stellten sich die Unterschriftensammler einfach vor die Urnen und liessen die Leute gleich dort unterschreiben. Heute müssen sie auf die Strasse.

Oder die Unterschreibenden müssen den online zur Verfügung stehenden Bogen ausdrucken, unterzeichnen, das Couvert frankieren und es zur Post bringen. Diesen Aufwand nimmt nicht jeder auf sich. Falls es eines Tages möglich wäre, online zu unterschreiben und das Sammeln somit tatsächlich einfacher würde, müsste man sich eine solche Massnahme aber vielleicht schon überlegen.

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