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Das Bangen in der Ferienzeit
Aus News-Clip vom 16.07.2013.
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Schweiz Gesetz gegen Zwangsheirat zeigt erste Wirkung

Seit dem ersten Juli gelten schärfere Massnahmen gegen Zwangsheiraten. Die Gesetzesänderung fällt in die Sommerferien. In dieser Zeit werden besonders viele Jugendliche gegen ihren Willen verheiratet.

Bei der Beratungsstelle zwangsheirat.ch nehmen in den Ferien die Anfragen zu. «Das ist die Hoch-Zeit der Zwangshochzeiten», sagt Leiterin Anu Sivaganesan. Momentan würden bis zu acht Fälle pro Woche behandelt.

Auch Karin Aeberhard vom Mädchenhaus Zürich berichtet gegenüber SRF von einer verstärkten Anfrage während der Sommerferien. Die Mädchen hätten Angst mit den Eltern in die Ferien ins Herkunftsland zu gehen. «Sie haben Angst dort zwangsverheiratet zu werden und allenfalls nicht mehr in die Schweiz zurückkehren zu können.»

Sie kenne einige Mädchen, die in den Sommerferien zwangsverheiratet wurden und im Mädchenhaus nach Rat fragten. Dann erst haben sie sich überwinden können, den Schritt von zuhause weg zu machen.

Strafanzeige bei Zwangsheirat

Nun gelten strengere Gesetze. Wer jemanden zu einer Ehe zwingt, kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Dies gilt auch, wenn die Heirat im Ausland erfolgt ist.

Bei Verdacht auf eine Zwangsheirat ist kein Nachzug des Ehegatten mehr möglich. Die Zivilstandsbeamten müssen Strafanzeige erstatten, wenn sie bei einer Eheschliessung eine Druckausübung feststellen.

Erster Fall

In Einzelfällen zeigt das neue Gesetz bereits Wirkung. So meldete sich bei zwangsheirat.ch eine 21-jährige Türkin. Sie war vor zwei Jahren in den Ferien in ihrem Heimatdorf zur Heirat mit einem fernen Verwandten gezwungen worden.

Zurück in der Schweiz verliebte sie sich in einen anderen Mann. «Ihr Ziel ist nicht eine Scheidung, sondern eine Annullierung der Zwangsheirat, damit ihr Zivilstand nicht als ‹geschieden› qualifiziert wird, sondern als ‹unverheiratet›», sagt Sivaganesan.

Erleichtert werde die Arbeit der Beratungsstelle auch dadurch, dass Zivilstand und Bleiberecht neu explizit getrennt werden. «Das Opfer einer Zwangsverheiratung muss jetzt nicht mehr die übliche Frist von drei Jahren in einer ungewollten Ehe erdulden, um einen eigenständigen Aufenthaltsstatus zu erwerben», sagt Sivaganesan.

Nachbesserungen gefordert

Aus der Welt ist das Problem der Zwangsheiraten damit aber nicht. Sivaganesan ist skeptisch, ob die Zivilstandsbeamten in der Lage sind, den «freien Willen» der Heiratenden zu erkennen, wobei dieser «offensichtlich» sein muss.

Gründe für die Zwangsheirat

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Generationenunterschiede und migrationspolitische Aspekte sind die Hauptgründe für Zwangsehen. Das zeigt eine Studie der Universität Neuenburg von 2012. Oft hofften die Eltern, ihre Töchter und Söhne zu schützen, indem sie diese in der ethnischen, nationalen, sprachlichen oder religiösen Gemeinschaft festhielten.

Auch die Regelung, dass im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen nach einer Interessensabwägung für gültig erklärt werden können, stört Sivaganesan. «Damit wird ein Schlupfloch geschaffen, dass Minderjährige, die emotional und finanziell von ihren Eltern abhängig sind, von diesen in die Enge getrieben werden können.»

Nachbesserungen brauche es zudem für jene Fälle, wo einer Person die Scheidung verweigert werde. Sivaganesan verweist darauf, dass fast doppelt so viele Personen von einer Zwangsehe betroffen sind als von einer Zwangsheirat. «Das neue Gesetz berücksichtigt die Zwangsehe nicht. Das ist absurd.»

Eine Studie der Universität Neuenburg aus dem Jahr 2012 zeigt: In den untersuchten zwei Jahren wurde in 659 Fällen eine Person gezwungen, auf eine Scheidung zu verzichten. Im gleichen Zeitraum wurden 348 Zwangsheiraten gezählt, in 384 Fällen wurde eine junge Frau unter Druck gesetzt, eine Liebesbeziehung zu beenden.

Auswirkungen noch unklar

Fleur Jaccard, Leiterin Advocacy Unicef Schweiz, bezeichnet die Gesetzesänderung als grossen Fortschritt. «Dank der gesetzlichen Grundlage wird der Schutz der betroffenen Mädchen und Frauen verbessert.»

Hinweisen auf Zwangsheirat könne dank der geklärten Gesetzeslage nachgegangen werden. «Risiken von Rechtsverletzungen müssen durch breit angelegte Prävention verhindert werden. Dabei gilt es, gefährdete Kinder und Frauen zu stärken und über ihre Rechte zu informieren und Behörden zu sensibilisieren», so Jaccard.

Von Zwangsheiraten betroffen sind vor allem junge Frauen ausländischer Herkunft, wie die Studie der Universität Neuenburg zeigt. Häufigste Herkunftsländer der Opfer sind die Türkei, Sri Lanka und die Balkanländer.

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