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Session «Inländervorrang light» nimmt erste Hürde

Auf eine hochemotionale Eintretensdebatte folgte eine etwas sachlichere Detailberatung. Der Nationalrat plädiert für eine sanfte Umsetzung der SVP-Initiative. Damit vermeidet er eine Frontalkollision mit Brüssel – doch die Frage eines Verfassungsbruchs steht im Raum.

Die Ausgangslage

Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) kommt einer Quadratur des Kreises gleich, und schon vor der Debatte im Nationalrat war klar: Sie würde nach dem Bundesrat auch dem Nationalrat nicht gelingen.

Die Staatspolitische Kommission stieg mit dem viel zitierten «Inländervorrang light» in den Ring; zunächst galt er als unbestritten und wurde von einer überparteilichen Allianz – mit Ausnahme der SVP – unterstützt.

Nach ihrer Fraktionssitzung von Dienstag letzter Woche machte aber die CVP mobil: Sie forderte, angeführt von Parteipräsident Gerhard Pfister, ein schärferes Regime gegen Brüssel im Sinne des Verfassungsartikels der MEI ein.

Das Resultat

Der Nationalrat sprach sich für den «Inländervorrang light» der Kommission aus. Damit bleibt die Stellenmeldepflicht als einzige Massnahme, die die Schweiz ohne Einwilligung der EU beschliessen kann. Sie gilt als vereinbar mit dem Freizügigkeitsabkommen, eine Einigung mit der EU ist also nicht nötig.

Vorgesehen sind damit drei Stufen von Massnahmen:

  • Der Bundesrat muss dafür sorgen, dass das inländische Arbeitskräftepotenzial besser genutzt wird.
  • Überschreitet die Zuwanderung trotzdem einen bestimmten Schwellenwert, kann der Bundesrat Arbeitgeber verpflichten, offene Stellen dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zu melden.
  • Bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen sind gemäss den Beschlüssen des Nationalrats auch «weitergehende Abhilfemassnahmen» möglich.

Die offene Formulierung des Gesetzes schliesst Höchstzahlen nicht aus. Solche könnten aber nur mit Zustimmung der EU beschlossen werden. Einseitige Massnahmen – also die von der Verfassung geforderte eigenständige Steuerung der Zuwanderung – sind nicht vorgesehen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 126 zu 67 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) an.

Die Argumente der Befürworter

Damit ist der Arbeitgeber weiterhin frei, eine Arbeitskraft aus dem Ausland anzustellen. Er muss nicht einmal nachweisen, dass er ernsthaft im Inland gesucht hat. «Solche Zwänge wollen wir der Wirtschaft nicht auferlegen», sagte Kommissionssprecher Kurt Fluri (FDP/SO). Der Vorrang besteht nach seinen Angaben darin, den inländischen Arbeitskräften einen zeitlichen Vorsprung auf die Konkurrenz aus dem Ausland zu verschaffen.

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Cédric Wermuth (SP/AG): «Beleidigung für Kindergärtnerinnen»
Aus News-Clip vom 21.09.2016.
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Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli zitierte den zentralen Mann der Marathonverhandlung: «Eine Brücke baut man eher mit festen Pfeilern als mit Windfahnen, sagte Gerhard Pfister einmal.» Verhandlungsstärke sei das eine und durchaus lobenswert, so Glättli, manchmal müsse man aber auch mit 80 Prozent zufrieden sein: Wenn es einen «Deal-Breaker» für die EU gebe, müsse man nicht noch «den grossen Prügel» auspacken.

Die Vertreter von SP und FDP warnten davor, eine Verletzung des Freizügigkeitsabkommens in Kauf zu nehmen. Nadine Masshardt (SP/BE) warf Pfister vor, mit seinem Verschärfungsantrag das Forschungsabkommen «Horizon 2020» zu gefährden.

Die Argumente der Gegner

Die CVP-Fraktion, die sich in der Kommission noch für den «Inländervorrang light» ausgesprochen hatte, verlangte im Plenum, dass auch schärfere Massnahmen möglich sein sollen. Parteipräsident Pfister schlug vor, dass der Bundesrat befristete Abhilfemassnahmen beschliessen kann, wenn mit der EU innerhalb von 60 Tagen keine Einigung zu Stande kommt. Unter diesem Regime hätte die Schweiz auch einseitig Höchstzahlen beschliessen können.

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Adrian Amstutz (SVP/BE) beklagt Verfassungsbruch
Aus News-Clip vom 21.09.2016.
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Andreas Glarner (SVP/AG) sprach in der Detailberatung von einem «veritablen Putsch»: «Und der Verlierer ist nicht, wie gewöhnlich, die Regierung, sondern das Volk.» Schon in der Eintretensdebatte schossen zahlreiche Vertreter der SVP scharf: Vor allem Kurt Fluri, der «Architekt» des «Inländervorrang light», wurde hart angegangen. Er reagierte nicht minder angriffig: «Einige Ihrer Voten waren mir einfach zu dumm, um dazu Stellung zu nehmen.»

So geht es weiter

In der Wintersession wird sich der Ständerat mit der Vorlage auseinandersetzen. Dort dürfte das Thema einer Verfassungsänderung zu reden geben: Denn zahlreiche Verfassungsrechtler sehen im «Inländervorrang light» eine krasse Verletzung der Bundesverfassung. FDP-Vertreter aus der kleinen Kammer haben bereits Zweifel angemeldet; die Frage dürfte schon im Vorfeld der Debatte von der Staatspolitischen Kommission des Ständerats durchleuchtet werden.

Die Position des Bundesrats

Simonetta Sommaruga schilderte in aller Ausführlichkeit das Dilemma der Schweizer Politik: Mit einseitigen Massnahmen bis hin zur Einführung von Kontingenten und Höchstzahlen riskiere die Schweiz einen Bruch mit völkerrechtlichen Verträgen mit der EU; wenn die Forderungen der Masseneinwanderungsinitiative unterlaufen würden, riskiere man dagegen einen Bruch mit der eigenen Verfassung. Gerhard Pfisters Antrag, einseitige Abhilfemassnahmen zu erlassen, lehne der Bundesrat, so Sommaruga, jedoch ab: «Das wäre nicht vereinbar mit der Personenfreizügigkeit und würde Rechtsunsicherheit schaffen, denn es wäre offen, wie die EU reagiert.» Zudem sei es höchst fragwürdig, dem Bundesrat die Kompetenz zu delegieren, im Extremfall die Bilateralen zu kündigen.

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