Die Untersuchung des Spermas von tausenden Schweizer Rekruten zeigte zudem: Jeder sechste junge Schweizer hat so wenig Spermien, dass eine natürliche Empfängnis schwierig sein kann.
Das Bundesamt für Gesundheit warnt: Das sei besorgniserregend und Fruchtbarkeit ein Problem der öffentlichen Gesundheit.
Gutes oder schlechtes Sperma ist von drei Kriterien abhängig.
Sind alle diese drei Faktoren eingeschränkt, kann ein Mann unfruchtbar sein. Das heisst, es ist für ihn schwierig bis unmöglich, auf natürlichem Weg ein Kind zu zeugen.
Neue Forschung zeigt regionale Unterschiede
Rita Rahban hat die Rekruten-Studie durchgeführt und 2019 publiziert. Sie ist Biologin an der Universität Genf und forscht seit Jahren zu männlicher Reproduktionsgesundheit.
Gemeinsam mit Forschenden der ETH-Lausanne hat sie nun eine neuartige statistische Methode angewandt, um die Werte aus der Rekruten-Studie erneut zu analysieren. Dank dieser zeigt sich plötzlich: Die Samenqualität in der Schweiz ist nicht gleichmässig verteilt. Stattdessen lassen sich auffällige Cluster erkennen.
Aber wie lassen sich diese Cluster erklären? Die Forschenden glichen die beiden Gebiete mit verschiedenen Datensätzen des Bundes ab: Eine Korrelation fanden sie mit der Landnutzung. Im negativen Cluster zwischen Bern und Thun sind die Männer von deutlich mehr Ackerbau umgeben; im positiven Cluster von deutlich mehr Siedlungen.
Wir brauchen Studien mit viel mehr Männern, um diese Cluster zu validieren.
«Wahrscheinlich das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man über Landwirtschaft spricht, sind Pestizide», sagt Rahban. «Aber wir wissen es schlicht nicht.» Dafür wären breiter angelegte Studien nötig, so die Forscherin.
Was verschlechtert die Samenqualität?
Fakt ist: Gewisse Substanzen in Pflanzenschutzmitteln können sich erwiesenermassen auf die Entwicklung von Sexualorganen und auch die Samenqualität auswirken. Laut Toxikologinnen und Toxikologen könnten aber zum Beispiel auch Schwermetalle im Dünger oder Hormone von Milchkühen eine Rolle spielen.
Hinzu kommt, dass es zahlreiche Faktoren gibt, welche die Samenqualität beeinflussen.
«Alles, was der Gesundheit allgemein zusetzt, wirkt sich auch auf die Spermien aus», sagt Biologin Rahban.
Ändert ein Mann sein Verhalten, hört etwa auf zu rauchen, dürfte er bereits nach drei Monaten eine Veränderung seiner Samenqualität sehen. Dazu kommen Faktoren, die ein Mann wenig oder gar nicht beeinflussen kann. Wie gut seine Spermien sind, entscheidet sich etwa schon vor der Geburt. Durch die Genetik der Eltern und Einflüsse im Mutterleib.
Forscherin Rahban konnte aufzeigen: Söhne von Bäuerinnen, Coiffeusen und Reinigungskräften, die während ihrer Arbeit potenziell hormonaktiven Substanzen wie Pestiziden oder Reinigungsmitteln ausgesetzt waren, haben tendenziell eine niedrigere Spermienqualität.
Chemikalien oder andere Schadstoffe in der Umwelt können nicht nur die Samenqualität bei einem Fötus vorbestimmen, sie können auch das Sperma beim erwachsenen Mann verschlechtern.
Doch welche Umweltfaktoren wirken wie stark? Bei dieser Frage stehen auch die Forschenden an.
Was bedeutet der Konnex zur Landwirtschaft?
«Wir wissen sehr wenig zu den Ursachen männlicher Unfruchtbarkeit», sagt Biologin Rahban und warnt auch vor einer Überinterpretation ihrer Regionen-Studie. So hätten sie zum Beispiel keine Schadstoffe in den Clustern vor Ort oder im Blut der Probanden gemessen.
Wie der Zusammenhang mit der Landwirtschaft zu erklären ist, bleibt offen, sagt Rahban. Die Studie basiert auf Daten von rund 3000 Männern, einer eher kleinen Testgruppe. Um die Cluster und den möglichen Zusammenhang mit landwirtschaftlich genutzten Flächen zu bestätigen, brauche es dringend weitere Forschungsgelder.
Die Forschungslücke
Dies fordert auch Toxikologin Ellen Fritsche. Sie ist Direktorin am Zentrum für angewandte Humantoxikologie SCAHT in Basel, das Rahbans Forschung mitfinanziert hat. Die neue Studie sei wertvoll, so Fritsche, aber es bräuchte nun grössere und präzisere Untersuchungen.
Notwendig seien etwa ein Humanbiomonitoring, bei dem Chemikalienbelastungen im Körper gemessen werden. Oder eine Untersuchung des Kinderwunschs in den Clustern, um zu ergründen, ob sich die unterschiedliche Samenqualität auch tatsächlich in der Fruchtbarkeit niedergeschlagen hat.
Die neue Regionen-Studie zu Spermienqualität deckt damit auch ein Dilemma auf: Unbestritten ist, wie wichtig es wäre, der Spermakrise auf den Grund zu gehen. Doch mangelt es an Forschungsgeldern dazu.