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Schweiz Veto mit Folgen: Krankenkassen knausern bei Gentests

In der Schweiz leiden Tausende unter «seltenen Krankheiten», haben Gendefekte, die oft schreckliche Symptome zur Folge haben. Häufig wollen die Krankenkassen aber nicht für die teuren Behandlungen aufkommen – und ausgerechnet bei wichtigen genetischen Untersuchungen zahlen sie oft nicht.

Gross, sonnendurchflutet sind die Hallen des Zentrums Paul Klee in Bern – umso zierlicher wirkt Therese Stutz, ein wenig verloren am Kaffeetisch. Sie sitzt hier, weil es nicht weit weg ist von zu Hause. Die pensionierte Ärztin, Vorständin im Verband für Seltene Krankheiten ProRaris, kann nicht lange gehen.

Kaum war sie auf der Welt, war klar, dass etwas nicht stimmte: «Die Ärzte haben festgestellt, dass meine Beine gebrochen waren. Dann haben sie Röntgenbilder gemacht und gesehen, dass ich schon im Mutterleib zwei Brüche gehabt hatte.» Diagnose: Glasknochenkrankheit. Der Gendefekt hat ungewöhnlich fragile Knochen zur Folge. 22 Knochenbrüche erlitt Therese Stutz in der Jugendzeit, immer wieder musste sie operiert werden.

Trotz allem: Sie studierte Medizin. Dann folgte ihre Karriere beim Bundesamt für Gesundheit – ein sogenannt normales Leben. Nur auf Kinder verzichtete sie: «Ich wusste, dass ich eine Schwangerschaft nicht so leicht überstehen würde; dass ich etwa am Schluss der Schwangerschaft nicht mehr gehen könnte und das Risiko gross wäre, dass etwas passiert.»

Die (kostspieligen) Möglichkeiten der modernen Medizin

Heute lobbyiert Stutz dafür, dass es andere Menschen mit defekten Genen leichter haben als sie. Die moderne Medizin kommt ihr dabei entgegen, seit kurzem können Ärzte Gene nämlich genau entschlüsseln, darin lesen. Genetische Untersuchungen erlauben es ihnen, mehr herauszufinden über Gendefekte, die richtige Physiotherapie, das richtige Förderprogramm fürs Kind zu verschreiben.

Entscheidend sei das für Kranke und deren Familien, erklärt Stutz: «Diese Menschen haben ganz schlimme Symptome und man weiss nicht, was sie haben – hier ist es enorm wichtig, dass eine Diagnose gestellt werden kann.»

60 bis 70 Prozent der genetischen Analysen werden nicht von den Krankenkassen übernommen.
Autor: Sabina Gallati Professorin für Humangenetik

Nur, hört man Humangenetik-Professorin Sabina Gallati zu, gibt es ernsthafte Probleme bei den genetischen Untersuchungen: «Das grösste Problem ist, dass sehr viele genetische Analysen noch immer nicht von den Krankenkassen übernommen werden.» «Sehr viele» heisse 60 bis 70 Prozent. Bezahlen müssten dann stattdessen die Patienten, oft mehrere tausend Franken, schildert Gallati.

Sie ist auch Präsidentin jener Kommission, die den Bund beim Thema Genetik berät. In einem Bericht schreibt ihre Kommission, die Lage werde «zunehmend kritisch». Zwei Mal haben sich die Fachleute deshalb bereits an Gesundheitsminister Alain Berset gewandt. Der Bund gebe sich zwar Mühe, sagt die Professorin, habe das Problem aber bisher nicht gelöst.

Krankenkassen müssen sich an die Regeln halten

Oliver Peters, Vize-Direktor im Bundesamt für Gesundheit, weiss das: «Vor einem Jahr hatten wir einen neuen Höchststand bei den Problemen.» Fast zwei Dutzend Leute haben sich gemeldet, weil ihre Krankenkasse die Gen-Analyse nicht berappen wollte.

Dabei muss sie grundsätzlich zahlen. Gerade erst hat das Amt deshalb allen Krankenkassen geschrieben. Die Aufforderung: Haltet euch an die Regeln, übernehmt genetische Untersuchungen, wenn sie nützlich sind für Diagnose oder Therapie.

Warum das heute schlecht funktioniert, weiss Peters nicht. Er vermutet aber Angst vor dem Unbekannten: Genetische Untersuchungen seien für die Krankenkassen einfach noch zu neu. «Da sie aber immer häufiger werden, müssen sich auch immer mehr Krankenkassen damit befassen.»

Muss die Politik intervenieren?

Diese Diagnose stimme, sagt Reto Guetg, Vertrauensarzt des Krankenkassenverbands Santésuisse – auch wenn er nicht von Verweigerung im grossen Stil sprechen mag: «Es ist nicht zu bestreiten, dass diese Abklärungen bei den Kassen so angeschaut werden, dass die ein oder andere Kostenübernahme nicht gesprochen wird.» Guetg glaubt indes, dass die Kassen dazu lernen, kulanter werden. Allzu teuer wäre das im Moment nicht, genetische Untersuchungen machen heute nur ein Prozent der Laborkosten in der Schweiz aus.

Therese Stutz, die Ärztin und Lobbyistin, die an der Glasknochenkrankheit leidet, befürchtet hingegen, dass Briefe an die Krankenkassen nicht reichen. Sie glaubt, dass mehr passieren müsste in Verwaltung und Parlament: «Man müsste die Macht von bestimmten Kassen schlichtweg ein bisschen beeinflussen.» Neue Möglichkeiten, höhere Kosten – da brauche es auch neue Regeln. Welche, das weiss heute noch niemand.

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