Immer mehr Menschen drängen sich aus dem Zug: Beim Bahnhof Grindelwald ist viel los an diesem Wintermorgen – obwohl die Wintersaison erst gerade begonnen hat. «Schön ist es hier», sagt eine Koreanerin, «die Leute wirken alle so freundlich und es ist viel ruhiger als in meiner Heimatstadt Seoul».
Ruhig – diese Beschreibung passt kaum noch zur Dorfstrasse in Grindelwald. «Es ist viel hektischer geworden als früher», sagt die Verkäuferin eines Souvenirgeschäfts; ihren Namen möchte sie lieber nicht nennen. «Gerade im Sommer sieht es hier aus wie beim Times Square in New York.» Doch beschweren will sie sich nicht. «Man kann nicht murren und gleichzeitig von den Touristen profitieren.»
Trotzdem: In Grindelwald geben die vielen Touristinnen und Touristen zu reden. Kürzlich etwa wurde bekannt, dass ein Hotelprojekt mit rund 200 Betten nicht realisiert wird. Die Investoren haben ihre Pläne zurückgezogen, nachdem die Gemeindebehörde signalisiert hatte, dass sie das Vorhaben nicht unterstützt.
Die bestehende Infrastruktur kommt immer wieder an ihre Grenzen.
«Wir müssen die Balance zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Lebensqualität für Einheimische wahren», sagt Gemeindepräsident Beat Bucher. «Die bestehende Infrastruktur kommt immer wieder an ihre Grenzen.»
Die Bedenken in Grindelwald: Noch mehr Gäste, die Strassen, Wasserversorgung und Abfallmanagement belasten. Der Tenor in der Bevölkerung sei eindeutig, so der Gemeindepräsident: Mehr Tourismus soll es vorerst nicht geben. Die Rückmeldungen auf das Vorgehen der Gemeinde seien gut, so der Gemeindepräsident. «Gerade aus dem Unterland erhielt ich viele Gratulationen.»
Der Tourismus kann noch wachsen – es braucht aber Anpassungen.
Christian Bigler betreibt in Grindelwald eine Bäckerei. Anders als der Gemeindepräsident, der einen Stopp für neue Hotelprojekte fordert, plädiert Bigler für weiteres, moderates Wachstum. «Wenn der Ofen voll ist, musst du halt schauen, dass du die Produktion anpasst und nicht einfach sagst, ich will keine Kunden mehr», erklärt er.
Allerdings sieht auch Bigler Handlungsbedarf bei der Infrastruktur, insbesondere beim Verkehr. Er fordert unter anderem ein besseres Parkplatzmanagement. Trotz gelegentlicher Probleme betont Bigler die Bedeutung des Tourismus für Grindelwald: «Grindelwald ist darauf angewiesen.»
Zwischen Chance und Stress
Auch der vor zwei Jahren zugezogene Hotel-HR-Berater Aaron weist auf die grosse Bedeutung des Tourismus hin. Der gebürtige Zürcher möchte seinen Nachnamen nicht nennen. Er räumt ein, dass das Dorf im Sommer an seine Grenzen stosse, insbesondere was die Infrastruktur und Parkplätze betreffe.
Dennoch überwiegen für ihn die Vorteile: «Für Hotels und viele Geschäfte im Dorf ist es gut.» Er sieht den Tourismus als Chance und plädiert dafür, «weiterzumachen».
An diesem verschneiten Wintertag kommen die Schülerinnen und Schüler am Mittag von der Schule nach Hause, darunter die 15-jährige Leonie. «Manchmal ist es störend, wenn es viele Leute hat.»
Ich bin interessant für die Touristen – vor allem wegen meiner blonden Haare.
Im Sommer wurde sie auf der belebten Dorfstrasse von einem Auto angefahren. Besonders unangenehm empfindet sie, wenn Touristen, ohne zu fragen, Fotos machen. «Ich bin interessant für sie – vor allem wegen meiner blonden Haare.»
Während die Diskussion um die Zukunft des Tourismus weitergeht, bleibt Grindelwald vorerst ein Magnet für Besucher aus aller Welt – mit allen Vor- und Nachteilen.