Forscher haben die Einbürgerungsentscheide von 1400 Gemeinden zwischen 1990 und 2010 untersucht. Das Resultat: Entscheidet der Stimmbürger, werden massiv mehr Gesuche abgelehnt, als wenn Vertreter der Lokalpolitik urteilen. Die Forscher führen dies vor allem auf eine unterschiedliche Praxis bei Gesuchen von Türken und Ex-Jugoslawen zurück.
Das vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Projekt zeigt: 1990 setzten rund 80 Prozent der untersuchten Gemeinden auf die direkte Demokratie. Das heisst, die Stimmbürger konnten an der Urne oder an der Gemeindeversammlung über die Gesuche von Ausländern befinden.
2003 erklärte das Bundesgericht einen negativen Entscheid an der Urne für unrechtmässig. Die Begründung: Jeder abgelehnte Bewerber hat ein Rekursrecht. Bei einer Abstimmung an der Urne muss die Ablehnung nicht begründet werden. Somit hat der abgelehnte Ausländer kein Argument, das er anfechten kann.
Wechsel vom Stimmbürger zum Politiker
Im Anschluss an das Urteil änderten 600 Gemeinden ihr System: Nicht der Stimmbürger befand fortan über Einbürgerungsgesuche, sondern der Gemeinderat, das Gemeindeparlament oder eine spezialisierte Kommission.
In der Folge wurden viel mehr Schweizer Pässe verteilt. Bereits im ersten Jahr nach dem Wechsel stieg die Einbürgerungsquote um 50 Prozent. Zuvor erhielten etwa zwei Prozent der möglichen Kandidaten den Schweizer Pass. Später waren es vier Prozent. Mögliche Kandidaten sind alle Ausländer, die in der Schweiz leben und die formalen Kriterien für eine Aufnahme erfüllen.
Vom Zeitpunkt der Einreichung eines Gesuchs bis zum Entscheid verstreichen Jahre. Deshalb kann die beobachtete Zunahme nicht auf eine grössere Anzahl von Einbürgerungsgesuchen zurückgeführt werden.
Auch bei den einzelnen Nationalitäten zeigten sich grosse Unterschiede: Im ersten Jahr wurden 68 Prozent mehr Ex-Jugoslawen, 75 Prozent mehr Türken, 34 Prozent mehr Deutsche und 6 Prozent mehr Italiener eingebürgert.
Stimmbürger diskriminieren Türken und Ex-Jugoslawen, bilanzieren die Autoren der Studie. Ihre Aussage belegen sie mit den Entscheiden aus 44 Gemeinden zwischen 1970 und 2003: Jeder dritte Türke oder Ex-Jugoslawe erhielt an der Urne einen negativen Bescheid. Hingegen blitzte nur jeder dreissigste Italiener oder Deutsche ab.
Das Herkunftsland des Bewerbers hatte dabei mit Abstand den grössten Einfluss auf den Entscheid. Charakteristika wie Alter, Geschlecht, Ausbildungsniveau, Aufenthaltsdauer, Integrationsstatus oder Sprachkenntnisse spielten kaum eine Rolle.
Am stärksten ist die Diskriminierung in Gemeinden mit grossem SVP-Wähleranteil. Dort stieg auch die Einbürgerungsrate nach 2003 am stärksten.
12'000 Schweizer weniger
Mit einer Befragung von 200 Gemeindeschreibern gingen die Forscher dem Phänomen auf den Grund: Politiker brauchen eher eine stichhaltige Begründung, wenn sie ein Gesuch ablehnen. Wird ein negativer Entscheid erfolgreich angefochten, könnte dies auf sie zurückfallen. Der anonyme Stimmbürger hingegen muss keinen Image-Schaden fürchten.
Die Forscher empfehlen den Gemeinden, Vertreter der Gemeindepolitik über Einbürgerungsgesuche entscheiden zu lassen. Derzeit entscheidet noch bei einem Drittel aller Schweizer Gemeinden die Gemeindeversammlung.
Die Forscher kommen zum Schluss: Ohne den Systemwechsel im Jahr 2003 wären zwischen 2005 und 2010 rund 12'000 Immigranten weniger eingebürgert worden.