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Schweiz Wird die ganze Zentralschweiz zur SP-freien Zone?

In den Kantonen Luzern, Schwyz und Zug sitzen keine SP-Vertreter mehr in der Regierung. In Ob- und Nidwalden hat es noch nie eine SP-Vertretung in die Regierung geschafft. Nun könnte in Uri der letzte SP-Regierungssitz verlorengehen. Ein Politikwissenschaftler schreibt die Genossen aber nicht ab.

SRF News: Die SP hat es in allen Zentralschweizer Kantonen schwer. Woran liegt das?

Thomas Widmer: Historisch betrachtet waren die linken Parteien in diesen Kantonen noch nie stark vertreten. Dies waren Hochburgen der CVP mit gewissen FDP-Anteilen. In der Nachkriegszeit wurde dann häufig eine einzelne linke Vertretung neben der CVP im Verbund mit der FDP geduldet.

Ein Grund dafür ist die späte und eher schwache Industrialisierung in diesen Kantonen. Erst im Zuge dieser bildete sich eine Wählerbasis für die SP, für linke Parteien allgemein.

In der Zentralschweiz ist der Kanton Zug jedoch ein Spezialfall, denn dort ist die Alternative Grüne Liste in der Regierung vertreten, eine direkte Konkurrentin der SP für die linken Wählerstimmen. In den Innerschweizer Kantonen sieht es anders aus, dort sind ja nicht nur keine SP- sondern gar keine Linken-Vertreter in den Regierungen.

Weshalb haben es die Sozialdemokraten zurzeit besonders schwer?

Hierfür gibt es verschiedene Gründe: Einerseits ist zu Beginn der 2000er-Jahre in den Kantonen Obwalden und Luzern die Anzahl der Regierungssitze von sieben auf fünf reduziert worden. Dies erschwert die Ausgangslage für kleinere Parteien im Kampf um einen Regierungssitz.

Andererseits ist die SVP in allen Innerschweizer Kantonen erstarkt. Diese hat seit den 1990er-Jahren und verstärkt seit dem Jahr 2000 die CVP immer stärker konkurriert. Die SP wurde auch etwas zum Opfer dieser Veränderung, da die CVP und die FDP um den Erhalt der eigenen Sitze kämpfen mussten. Der bisher gepflegte freiwillige Proporz (siehe Box unten) verlor an Bedeutung. Die Konkurrenz um die Regierungssitze wurde härter – auch zwischen den bürgerlichen Parteien. Kommt hinzu, dass die gestärkte SVP von einem freiwilligen Proporz wenig hält und rein bürgerliche Regierungszusammensetzungen anstrebt. Die SVP spielt also in der neuen Parteikonstellation der Innerschweiz eine wesentliche Rolle.

Gibt es noch weitere Gründe?

Ein dritter Punkt ist die grössere Bedeutung der Fiskalpolitik in diesen Kantonen. Viele der Zentralschweizer Kantone verfolgen eine Niedrigsteuer-Politik – gegen den steten Widerstand der SP. Für eine gewisse Zeit sind die Kantone mit der Tiefsteuerstrategie auch gut gefahren. Die entsprechenden Parteien wurden bei Wahlen dafür belohnt. In der jüngsten Zeit läuft es mit der Niedrigsteuer-Politik nicht mehr so gut. Einige Kantone weisen erhebliche Finanzierungslücken auf und sind zu entsprechenden Korrekturen gezwungen. Dadurch könnte sich die Ausgangslage der SP im Vergleich zur vergangenen Dekade verbessern. Ob dies jedoch ausreichen wird, um wieder Sitze in Regierungen zu erhalten, ist unklar.

Ist die aktuelle Situation der SP in der Zentralschweiz nur ein Zwischentief?

Ich bin nicht der Meinung – sollte die SP ihren letzten Sitz im Kanton Uri verlieren – dass damit das Schicksal der SP oder der linken Parteien in der Zentralschweiz für alle Ewigkeit besiegelt sein wird. Bei jeder Wahl werden die Karten wieder neu gemischt. Doch: Die Zentralschweiz wird für linke Parteien wohl weiterhin ein hartes Pflaster bleiben.

Audio
Einziger Zentralschweizer SP-Regierungssitz auf der Kippe
aus Rendez-vous vom 05.02.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 15 Sekunden.

Die SP macht also in der Region nichts falsch?

An gewissen Orten hat sie bestimmt nicht alles optimal gemacht. Doch wer macht schon immer alles richtig? Sicherlich ist es nicht angemessen, den SP-Kantonalparteien die alleinige Schuld für die Situation zu geben. Regierungsratswahlen sind Persönlichkeitswahlen, besonders auch in kleineren Kantonen. Eine Wahl hängt also sehr stark von der Persönlichkeit der Kandidierenden ab. Die Parteizugehörigkeit ist nicht immer ausschlaggebend für die erzielte Stimmenzahl. In diesen Kantonen können etwa durchaus auch Parteilose erfolgreich sein, die im Kanton eine hohe Bekanntheit haben und gut vernetzt sind.

Haben die Sozialdemokraten in den letzten Jahren ihre Wählerschaft nicht mobilisieren können – oder schrumpft diese Wählerschaft zunehmend?

Ich denke, beides spielt mit. Ich muss bei dieser Frage allerdings spekulieren: Die potentielle Wählerschaft der SP ist in diesen Kantonen proportional gesehen klein. Möglicherweise hat die Partei in der Vergangenheit aber auch nicht die idealen Kandidaten für Regierungsratswahlen portieren können – jene mit überparteilicher Akzeptanz. Das ist natürlich für Majorzwahlen eine Voraussetzung, besonders für die SP. Denn alleine mit der linken Wählerschaft kann die Partei keinen Regierungssitz gewinnen.

Früher wählten viele Arbeiter in der Zentralschweiz die Sozialdemokraten, heute nicht mehr. Warum?

Den klassischen Arbeiter gibt es heute immer weniger. Und viele dieser klassischen Arbeiter wählen heute nicht mehr SP, sondern beispielsweise die SVP. Das ist aber kein Phänomen der Zentralschweiz, das gilt für die ganze Schweiz. Die linke Wählerschaft ist heute eher urban ausgerichtet; Menschen, die häufig im Dienstleistungssektor arbeiten, gut ausgebildet sind und recht hohe Einkommen erzielen. Diese Personengruppe ist in ländlichen Gegenden weniger anzutreffen als in städtischen. Auch deswegen haben sich die Aussichten für die SP-Kantonalparteien der Zentralschweiz nicht verbessert.

Freiwilliger Proporz

Der freiwillige Proporz zeichnet sich dadurch aus, dass starke Parteien freiwillig auf zusätzliche Regierungssitze verzichten. Sie geben damit kleineren Parteien die Chance, ebenfalls einen Regierungsrat zu stellen. In Wahlen im Majorzverfahren (wie bei Regierungsratswahlen) kommt es so zu einer Annäherung der Sitzverteilung an jene von Proporzwahlen (wie häufig bei Parlamentswahlen). Der freiwillige Proporz war in der Schweiz über lange Zeit recht stark verbreitet, hat in den letzten Jahren aber erheblich an Bedeutung verloren.

Das Interview führte Carla Schubert.

Thomas Widmer

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Thomas Widmer

Thomas Widmer ist seit 2014 Professor für Politikwissenschaften an der Universität Zürich. Er leitet dort seit 2003 den Forschungsbereich Policy-Analyse & Evaluation.

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