SVP und CVP sind die ländlichsten unter den Schweizer Parteien. Sie werden dort am besten gewählt, wo am Tag die Kühe weiden und sich am Abend Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Ganz anders SP und Grüne: Trotz ihrer Nähe zur Natur haben sie ihre Basis dort, wo Beton und Teer dominieren und Wälder höchstens aus Verkehrsschildern bestehen: in der Grossstadt.
Dazwischen liegt nicht etwa der Stadt-Land-Graben, sondern die Agglomeration. Sie ist der Speckgürtel der urbanen Zentren und damit das klassische Hoheitsgebiet der FDP. Diese Verteilung prägt die Schweizer Politlandschaft seit langem. Das belegt eine Auswertung der Wahlresultate seit dem Jahr 1971, welche die Forschungsstelle Sotomo der Universität Zürich zusammen mit SRF vorgenommen hat. Die Visualisierung zeigt, wie sich einerseits die Gemeinden und ihre Raumtypen, andererseits die Parteien entwickelt haben.
Die Hochburgen bröckeln
Auch wenn es in den letzten 40 Jahren immer wieder politische Verschiebungen gegeben hat, so sind die Stammlande der Parteien doch die gleichen geblieben. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Parteien gerade in ihren Hochburgen sehr wohl angreifbar sind. Sie blieben nämlich im Falle von Wahlniederlagen nicht verschont. Im Gegenteil: Gerade in ihren Stammlanden haben viele Parteien ihre grössten Verluste eingefahren.
Das zeigt sich insbesondere bei FDP und CVP. Der Niedergang der FDP begann Ende der 1970er-Jahre und erreichte mit den Wahlen 2011 den vorläufigen Tiefpunkt. Mit Abstand am gravierendsten waren die Verluste ausgerechnet in den wohlhabenden Agglo-Gemeinden. Dort sackte der Wähleranteil der FDP von über 35 Prozent im Jahr 1979 auf unter 20 Prozent im Jahr 2011 ab. In den traditionell schwachen ländlichen Gemeinden und Grossstädten war der Rückgang deutlich kleiner.
Ähnlich erging es der CVP: Auch sie verlor seit 1971 durchs Band, am meisten auf dem Land. In den Grossstädten, wo die CVP-Basis stets klein war, hielt sich die Partei derweil deutlich besser.
Auch links der Mitte zeigt sich ein ähnliches Muster: Die SP erlebte in den Grossstädten zwar ab den 1990er-Jahren und bis 2003 gemeinsam mit den Grünen einen regelrechten Boom. Der Aufschwung fand aber ein jähes Ende: Das Jahr 2007 brachte der SP ein Wahldebakel. Sie verlor gravierend an Stimmen – nicht nur in den Städten, dort aber am meisten. Die Grünen brachen vier Jahre später ein, wobei auch für sie die Schlappe in der Stadt deutlicher ausfiel als auf dem Land.
Individuell statt traditionell
Einerseits sind die Parteien in ihren Hochburgen also seit Jahren konstant erfolgreich, andererseits kassierten sie dort oft die härtesten Niederlagen.
Laut Politgeograf und Sotomo-Leiter Michael Hermann widersprechen sich die beiden Phänomene nicht, sie seien vielmehr die beiden Seiten derselben Medaille. Das Stichwort heisst Tradition. Sie garantierte den Parteien in ihren Hochburgen über Jahrzehnte Erfolge, hat aber stark an Bedeutung verloren: «Anders als früher entscheiden sich Wählerinnen und Wähler heute viel eher für die Partei, die ihnen ganz persönlich am besten passt, und nicht mehr für jene Partei, die am Wohnort traditionellerweise gewählt wird», erklärt Hermann das Wählerverhalten.
Grund für diese Entwicklung sei nicht zuletzt, dass die Auswahl grösser geworden ist: Politische Kräfte wie in den 1980er-Jahren die Grünen, in den 1990er-Jahren die SVP und jüngst Grünliberale und BDP erweiterten das politische Spektrum und holten jene Wähler ab, die sich von den etablierten Parteien nicht mehr gut vertreten fühlten.
Ausnahmeerscheinung SVP
Anders die Lage der SVP: Sie erlebte zwischen 1991 und 2007 einen massiven Aufschwung, erst bei den Wahlen im Jahr 2011 erlitt sie erstmals Verluste. Im Gegensatz zu den anderen Parteien verlor die SVP in ihrer Hochburg auf dem Land aber am wenigsten Wähler.
In den Grossstädten, wo die Partei am wenigsten Fuss gefasst hat, war die Niederlage deutlich grösser. Obwohl die SVP heute überall besser verankert sei als vor 40 Jahren, sei sie eben doch eine Land- und Agglopartei geblieben, stellt Michael Hermann fest.
Und das dürfte aufgrund der zunehmenden Aufwertung der Städte vorerst auch so bleiben. Zwar streicht inzwischen auch der eine oder andere Stadtfuchs durch die gentrifizierten Innenstädte – diese lockten aber statt SVP-Wählern viel mehr ein gut situiertes und vor allem kosmopolitisch-liberal eingestelltes Publikum an, sagt Hermann. Und das komme eher Parteien wie der FDP oder den Grünliberalen zugute.