Den Chef loswerden. Es ist eine heimliche Fantasie vieler Arbeitnehmer. Eine Studie der Universität Bochum wollte von Angestellten wissen, was für sie am Arbeitsplatz der grösste Störfaktor sei. Das Resultat: Der Chef. 56 Prozent der Arbeitnehmer äusserten sich negativ über ihre Vorgesetzten. Jeder Siebte würde den Boss am liebsten rauswerfen. Grösstes Ärgernis der Mitarbeiter: Die eigenen Ideen stossen auf taube Ohren.
Weltweit wird darum mit neuen Strukturen in den Unternehmenshierarchien experimentiert – auch in der Schweiz. Bei den einen wird der Chef von den Mitarbeitern gewählt, bei anderen werden wichtige strategische Entscheide demokratisch von der Belegschaft gefällt.
Vom Praktikant zum CEO dank Mitarbeiterwahl
In der alten Sihlfabrik in Zürich wurde am Mittwoch der «Great Place to Work Award» verliehen. Das «Great Place to Work Institute» setzt sich welweit für eine von Vertrauen geprägte Arbeitsplatzkultur ein. Einmal im Jahr werden in 45 Ländern die beliebtesten Arbeitsplätze ausgezeichnet. Eine Übersicht der beliebtesten Arbeitgeber finden Sie hier.
Nominiert für den begehrten Preis war auch Haufe-Umantis. Das IT-Unternehmen mit Sitz in St. Gallen beschäftigt in der Schweiz rund 150 Mitarbeitende und gehörte schon letztes Jahr zum Favoritenkreis. Bei Haufe-Umantis werden Teams flexibel gebildet, Strategie und Geschäftsplan gemeinsam definiert und Führungspersonal, vom Teamleiter bis zum CEO, jedes Jahr demokratisch gewählt.
So auch Marc Stoffel. Der 32-Jährige kam vor gut neun Jahr als Praktikant zu Haufe-Umantis und stellte sogleich ein neues Geschäftsmodell vor. Im Juni 2013 wurde er von der Belegschaft als CEO vorgeschlagen und mit einer überwältigenden Mehrheit gewählt. Letztes Jahr wurde er in seinem Amt bestätigt.
Individualisierung: das Konzept der Zukunft
Die Mitbestimmungsrechte bei Haufe-Umantis fordern aber auch einen Preis. Die Mitarbeitenden müssen sich einbringen – Trittbrettfahren verboten. Stephanie Notter, Kundenberaterin bei Haufe-Umantis, ist sich dessen bewusst: «Keine Meinung haben ist schwierig. Es wird erwartet, dass man eine Meinung hat und für diese argumentieren kann.»
Dies sei nicht jedermanns Sache, sagt Expertin Heike Bruch, Professorin für Führung und Personalmanagement an der Uni St. Gallen. Die Bedürfnisse von Arbeitnehmern würden sich stark unterscheiden. Einige Mitarbeiter würden mehr Lohn oder Ferien einer grösseren Mitsprachemöglichkeit vorziehen.
Das Konzept der Zukunft sei gemäss Bruch eine Individualisierung am Arbeitsplatz «nach nachvollziehbaren Massstäben», so, dass Arbeitnehmer «entsprechend ihrer Präferenzen arbeiten können».
«Es braucht Chefs, die sich selbst überflüssig machen»
Brauchen wir aber überhaupt noch einen Chef? Für Gernot Pflüger, Autor des Buchs «Erfolg ohne Chef», ist die Antwort klar: «Unternehmen brauchen heute keinen Chef mehr.» Mitdenkende und mitbestimmende Mitarbeiter würden den Chef überflüssig machen.
Expertin Heike Bruch widerspricht diesem Argument. «Es wird noch Chefs brauchen – und zwar für eine sehr lange Zeit.» Die Arbeitskultur, Spielregeln und andere Rahmenbedingungen seien noch nicht geschaffen, um ohne Vorgesetzte auszukommen. Unternehmen sollten aber in diese Richtung entwickelt werden. Dafür brauche es heute aber schon kompetentes Führungspersonal, welches keine Angst davor hätte, «sich selbst überflüssig zu machen.»
Sendebezug: 10vor10 vom 15.4.2015