Es ist eine steile Lernkurve für die Schweiz und ihre Handelsdiplomatie. Und ein noch nie erlebtes Wechselbad. Zuerst im April der Schock, am eigens dafür ins Leben gerufenen «Liberation Day» weit oben auf der Zolltafel von Donald Trump im Rosengarten zu erscheinen. Dann ein Durchatmen, als die angedrohten Zölle von 31 Prozent vorläufig ausgesetzt werden und sich ein Zeitfenster für Verhandlungen auftut.
Dann sickern die ersten Zwischenerfolge durch: Karin Keller-Sutter kann erste Gespräche auf oberster Ebene führen, man sei auf den vordersten Plätzen für einen Deal. Darauf folgt nach dem Durchatmen fast so etwas wie Euphorie, gefolgt von Stolz. Auch die exzellente Englisch-Kompetenz der amtierenden Bundespräsidentin wird als sehr hilfreich gefeiert.
Mehr taktischer Erfindungsgeist
Doch zu früh gefeiert: Die Schweiz bekommt danach mit 39 Prozent als einziges westliches Land die trumpsche Unberechenbarkeit mit voller Wucht zu spüren. Ein neuerlicher Schock. Und dieses Mal ausgerechnet am eigenen Nationalfeiertag. Verstörend, dass ausgerechnet die «Sister Republic» zum Opfer des erratischen Mannes im Weissen Haus wird, finden viele.
Doch der zweite Schock bewirkt gleichzeitig, dass mehr Besonnenheit, Diskretion und sogar so etwas wie taktische Finesse einsetzt. Die Schweiz versucht sich auf Augenhöhe von Dealmaker Trump zu begeben. Sogar Fifa-Präsident Gianni Infantino wird zum Hoffnungsträger hochstilisiert. Und Rolex-Chef Jean-Frédéric Dufour lädt Trump in die VIP-Loge am US Open ein. Eine Uhr als Geschenk wird dem Vernehmen nach damals (noch) nicht überreicht. Die kommt erst später.
Moralisch an der Grenze oder darüber
Nichts unversucht lassen, scheint die Devise zu sein. Auf eigene Faust, aber offenbar in Absprache mit Bundesbern, macht sich eine illustre Schweizer Milliardärs-Männer-Gruppe aus der Wirtschaft auf in die USA und besucht Trump im Oval Office, inklusive Fotobeweis. Überbracht werden Gold in Barrenform mit Gravur und eine Tischuhr von Rolex – kein Käse. Dass der US-Präsident darauf einen Post auf Truth Social dazu absetzt, verklärt die Aktion und ihre Beteiligten zu Rettern der Nation.
Und zuletzt das knapp stündige, «konstruktive» Gespräch zwischen Bundesrat Guy Parmelin und dem US-Handelsbeauftragten Jamieson Greer. Als Guy Parmelin der Staatsekretärin Helene Budliger Artieda in Washington aus der Limousine hilft, hat diese eine Tragetasche mit unübersehbarem Louis-Vuitton-Logo dabei – was wohl drinsteckt? Noch ein Mitbringsel für die Verhandlungspartner?
Ungewöhnliche Zeiten, ungewöhnliche Massnahmen. Teilweise moralisch an der Grenze – oder auch darüber. Und ein Verhandlungsresultat liegt immer noch nicht vor. Auch wenn gemäss BR Parmelin im jüngsten Gespräch «fast alle Punkte» geklärt werden konnten. Gut möglich, dass wenn das Abkommen dann auf dem Tisch liegt, das innenpolitische Gezänk losgeht. Etwa darüber, ob man die Schweizer Werte ausverkauft habe, zu weit gegangen sei oder ob es eben genau das gebraucht habe. Klar ist, so richtig auf die Schultern klopfen wird sich am Ende niemand können. Aber viel gelernt haben ganz viele. Für den Moment jedenfalls.