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Fake News während Corona «Eine beispiellose Explosion an Verschwörungstheorien»

Wer die Corona-Massnahmen der Behörden sachlich kritisiert, ist kein Verschwörungstheoretiker. Wer aber dahinter einen globalen Plan zur Knechtung der Massen sieht, steckt im Sumpf der Verschwörungstheorien. Diese boomen in Zeiten der Pandemie. Ein Kommunikationswissenschaftler erklärt, weshalb.

In aktuellen Verschwörungstheorien vermischt sich alles: Von Corona und Bill Gates über 5G und QAnon bis zur angeblich gestohlenen Wiederwahl von Donald Trump. Das Buch «Covid-19: The Great Reset» von WEF-Gründer Klaus Schwab (Co-Autor) liefert gemäss Verschwörungstheoretikern den endgültigen «Beweis»: Die Elite plant mittels Corona die Neuordnung der Welt. Corona sei auch keine Pandemie, sondern eine «Plandemie».

Marko Kovic

Marko Kovic

Kommunikationswissenschaftler, Autor und Podcaster

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Marko Kovic hat an der Universität Zürich in Kommunikationswissenschaften promoviert. Er denkt und schreibt zu gesellschaftlichem Wandel und technologiebezogenen Risiken.

SRF: Ich habe den Eindruck, dass die Verschwörungstheorien in den letzten Monaten eine neue Dimension angenommen haben. Wie sehen Sie das?

Marko Kovic: Ihr Eindruck täuscht nicht: Wir erleben gerade eine Explosion an Verschwörungstheorien, Fake News und Desinformation, die ihresgleichen sucht. Wir befinden uns in der grössten Gesundheitskrise der letzten hundert Jahre, und in Krisen suchen die Menschen Antworten. Und zwar irgendwelche Antworten. Die Pandemie birgt viele Ungewissheiten, man weiss nicht, wie es weitergeht. Verschwörungstheorien und Fake News gaukeln uns Antworten vor, und an diese klammern wir uns gern.

Die Leute vertrauen jeder noch so obskuren Quelle im Internet, jedem noch so zweifelhaften Videoclip auf YouTube. Nur den Behörden und den Wissenschaftern in deren Dienst glauben sie auf keinen Fall...

Solche Videoclips liefern halt bekömmlichere Antworten. Sie sind auch verängstigender – das ist eine Verschwörung, das ist alles inszeniert – aber man glaubt dann mindestens, zu wissen, warum es passiert und wie es weitergeht. Wissenschaft und Politik liefern teilweise sehr offene, diffuse Antworten: Man kann nicht genau sagen, wie es weitergeht, man rechnet in Szenarien und Wahrscheinlichkeiten. Das ist aber etwas, was wir kognitiv gar nicht lieben. Wir wollen einfache, klare Antworten, und nicht Ungewissheit und Unsicherheit. Und die Forschung zeigt: Der Glaube an Verschwörungstheorien steht im direkten Zusammenhang mit der Ungewissheit über Ereignisse oder Zustände.

Die Pandemie birgt viele Ungewissheiten. Verschwörungstheorien gaukeln uns Antworten vor, und an diese klammern wir uns gern.
Autor: Marko Kovic Kommunikationswissenschaftler

Welche Rollen spielen sogenannte alternative Medien wie «Klagemauer TV» oder «KenFM»?

Das sind zentrale Vektoren für die Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien. Im Internetzeitalter kann man sich online zusammensuchen, was man will und wo man will. Eigentlich eine gute Sache, eine Demokratisierung des Diskurses. Aber man fällt schnell in sogenannte Echokammern. Ich will nicht sagen, man soll nicht «KenFM» schauen. Das Problem ist einfach: Wenn man ein «KenFM»-Video schaut, schlägt einem der Algorithmus fünf weitere vor. Und dann ist man schnell in einer Spirale drin, sieht und hört nur noch das gleiche. Und - auch das weiss man aus der Forschung - egal, wie absurd diese Dinge sind: Wenn man sie zehnmal hört, fängt man an, daran zu glauben.

Und wenn man mal damit anfängt, kann man nicht mehr aufhören…

Das ist definitiv so, und man beobachtet eine Radikalisierungsspirale. Diese hat man im Zusammenhang mit Rechtsradikalismus erforscht. Auf Corona bezogen würde man etwa damit beginnen, die Massnahmen übertrieben zu finden, das Virus sei doch gar nicht so schlimm wie behauptet. Dann würde man zur Frage übergehen, ob es das Virus überhaupt gibt und ob das nicht einfach alles Inszenierung ist. Man fängt relativ banal an und steigert sich schnell hinein. Diese Radikalisierungsspirale ist tatsächlich eine der momentanen Gefahren.

Stichwort Inszenierung: Inszeniert wird «von oben», von der Elite. Gegen uns «hier unten». Das typische Narrativ von Verschwörungstheorien?

Das ist in der Tat die zentrale Dramaturgie von Verschwörungstheorien: Es gibt böse Mächte «da oben», die das einfache Volk – also die Guten – unterdrückt und schlechte Dinge mit uns machen. Und man weiss aus der Forschung, dass vor allem Menschen mit wenig Bildung und mageren sozioökonomischen Aussichten besonders anfällig sind für Verschwörungstheorien, weil sie ihr Gefühl der Machtlosigkeit auf diese Art kanalisieren können.

Egal, wie absurd diese Dinge sind: Wenn man sie zehnmal hört, fängt man an, daran zu glauben.
Autor: Marko Kovic Kommunikationswissenschaftler

Verschwörungstheoretiker sehen sich als Menschen, die «erwacht» sind und die tiefere Wahrheit hinter dem Geschehen erkannt haben. Alle anderen bezeichnen sie als «Schafe» oder auch «Schlafschafe», die eben noch nicht «erleuchtet» sind. Hat das nicht auch sektiererische Züge?

Sekten sind in der Regel straff organisiert, und das sind die Verschwörungstheoretiker nicht unbedingt. Was aber gleich ist: Die starke Gruppenidentität. Wir gegen die anderen. Ein zentrales und identitätsstiftendes Motiv. Daraus resultiert auch ein Frust: «Warum sehen es denn die anderen nicht?» Aber man fühlt sich zugehörig zu dieser kleinen Minderheit, die es eben gleich sieht wie man selbst. Es ist auch eine Art Tunnelblick des Denkens: Man denkt gar nicht mehr über das eigene Denken nach, also warum man das eigentlich so sieht. Man ist total in dieser Schiene drin und kann gar nicht mehr nachvollziehen, dass jemand anders nicht gleicher Meinung ist. Psychologisch gesehen finde ich das durchaus faszinierend.

Man starrt in Computer.
Legende: Eine Art Tunnelblick: Verschwörungstheoretiker können oft nicht mehr nachvollziehen, dass andere Menschen nicht gleicher Meinung sind. Colourbox

Ich habe mich schon gefragt, ob Staaten irgendwann unregierbar werden, weil niemand mehr den Regierungen glaubt. Hatten Sie diesen Gedanken auch schon?

Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas mal eintreffen könnte, ist wahrscheinlich höher geworden in den letzten 20 Jahren. Einen Staat gibt es nur, weil eine kritische Menge von Leuten daran glaubt, dass es ihn geben soll. Und wenn diese kritische Menge wegbricht, wirds unbequem. Ich denke aber, im Moment sind wir noch nicht soweit. Es ist bei uns noch nicht so extrem wie zum Beispiel in den USA, wo viele Millionen Menschen glauben, Trump habe die Wahl gewonnen. Dort weiss man nicht, wie es weitergeht. Bei uns bin ich etwas optimistischer, dass wir doch noch einen gemeinsamen Boden der Realität haben und die Leute, die jetzt besonders laut sind, eine Minderheit bleiben.

Das Gespräch führte Gaudenz Weber.

Sendebezug: Radio SRF 1, «Treffpunkt», 4.12.2020, 10.03 Uhr;

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