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Grosse Reden im Medienwandel «Auch auf Facebook funktioniert die klassische Rhetorik»

Grosse Reden haben die Menschen in allen Epochen bewegt. Jedes neue Medium hat die Art verändert, wie Reden gehalten werden. Mit der Digitalisierung hat die politische Rede an Bedeutung verloren. Doch was eine gute, beeindruckende Rede ausmacht, ist trotz des Medienwandels gleich geblieben.

1. August 1940. Die Schweiz hängt am Radio, in einer Rundfunkrede schwört General Henri Guisan Soldaten und zivile Bürger auf die Landesverteidigung ein. Einen Monat zuvor hatte Hitlers Sieg über Frankreich grosse Verunsicherung ausgelöst. Dieser trat Guisan mit der Reduit-Strategie entgegen. Den Generälen stellte er diese Idee am Rütli-Rapport vor, am 1. August wandte er sich mit seiner Botschaft des Widerstands an die Bevölkerung.

Historiker und SRF-Redaktor Felix Münger betont die grosse Bedeutung des Radios damals: «Das Radio erlaubte den Politikern erstmals, direkt und unmittelbar zur Bevölkerung zu sprechen. Daher war es ein wichtiges Propagandainstrument.»

Die grossen Reden Europas

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Die Videos in diesem Artikel entstammen der Reihe «Die grossen Reden / Les Grands Discours» , welche neun grosse Reden der europäischen Geschichte vorstellt. Eine Zusammenarbeit von SRF, Arte, Deutschlandfunk und France Inter.

Mit dem Fernsehen wurden Äusserlichkeiten wichtiger

In den 1950er-Jahren begann das Fernsehen seinen Siegeszug in den mittelständischen Wohnzimmern. «Damit wurden die Telegenität und die äussere Erscheinung der Redenden wichtig für ihren Erfolg», sagt Regula Hänggli, Professorin für Kommunikationswissenschaften an der Universität Fribourg. Und die sichtbare Begeisterung des Publikums kann die TV-Zuschauer anstecken. Martin Luther Kings ikonische «I have a dream»-Rede, die live im Fernsehen übertragen wurde, ging in die Geschichte ein.

Digitalisierung: Kurz twittern statt lang reden

Im digitalen Zeitalter buhlen traditionelle und soziale Medien 24 Stunden täglich um unsere Aufmerksamkeit. «Politiker sind heute auf mehr Kanälen aktiv, um ihre Botschaft zu verbreiten. Dadurch hat die Bedeutung der klassischen Rede abgenommen», sagt Sprachwissenschaftler Martin Luginbühl von der Universität Basel. Auch sähen sich die Medien heute stärker in einer kritisch hinterfragenden Rolle und böten kaum mehr eine Plattform für lange Reden. «Mediengewandte Politiker passen ihre Sprechweise an. Sie achten darauf, knackige Statements in Reden einzubauen, die in der medialen Berichterstattung verwendet werden können», so Luginbühl.

Wie rhetorische Mittel funktionieren

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Die sprachlichen Werkzeuge, die Rednerinnen und Rednern zur Verfügung stehen, heissen in der Fachsprache rhetorische Mittel. Martin Luther King und Panti Bliss arbeiten in ihren Reden beispielsweise mit Überraschungen und Wiederholungen von Kernbotschaften – das sind Stilmittel, die schon im alten Griechenland beschrieben wurden. Diese hätten eine wichtige Funktion für gute Reden, sagt Sprachwissenschaftler Daniel Perrin: «Was überraschend, gut und mehrmals gesagt ist, bleibt uns besser im Gedächtnis. So konnten gute Reden schon vor dem Internet-Zeitalter ‘viral’ gehen – damals einfach per Mund-zu-Mund-Propaganda.»

Viral gehen kann jede und jeder – nicht nur grosse Staatsmänner

Dafür erlauben Social Media auch unbekannteren Akteuren, mit ihrer Botschaft eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und den politischen Diskurs zu beinflussen. Ein Beispiel dafür ist die emotionale Rede der irischen Dragqueen und LGBTQ-Aktivistin Panti Bliss. Pointiert und humorvoll prangert sie die Homophobie in der Gesellschaft an. Das Video der Rede geht viral und Panti Bliss wird zur Ikone der Kampagne für die Homosexuellen-Ehe in Irland. Ein gutes Jahr später wird diese per Volksabstimmung eingeführt.

Was eine gute Rede ist, bleibt gleich

Was eine beeindruckende Rede ausmacht, habe sich aber kaum verändert, sagt Daniel Perrin, Professor für Angewandte Linguistik an der ZHAW: «Damit eine Rede im Gedächtnis bleibt und überzeugen kann, sind immer noch die gleichen Dinge wichtig: Den Zuhörenden muss die Botschaft einleuchten, da helfen eine einfache, klare Sprache und eine starke Geschichte. Und das Herzblut des Redners für seine Botschaft muss spürbar sein.»

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