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Games Aufblasen mit «Hundreds»

Tippe Blasen an, damit sie wachsen. Wachsen sie auf 100 an: Gewonnen. Berühren sie sich, wenn sie rot sind: Verloren.

Wenn man ein Spiel in so wenigen Worten beschreiben kann, ist das etwas spezielles. Game-Designer raunen anerkennend; die legendär kurze Spielanleitung vom Ur-Game «Pong» klingt an («AVOID MISSING BALL FOR HIGH SCORE»).

«Hundreds» ist zwar kein Retro-Spiel, aber es bedient sich der gleichen minimalistischen Ästhetik wie das 1972 von Atari herausgebrachte «Pong». Allerdings freiwillig: Technische Limiten zwingen nicht mehr zu schlichter Gestaltung, die strenge Beschränkung ist selbst gewählt.

Strenge Formen, strenge Helvetica

Der Level-Auswahl-Bildschirm ist schlicht gestaltet und mit Helvetica beschriftet.
Legende: Strenge Disziplin im Menu. Screenshot

Disziplin hat das kleine Studio Semi Secret Software. Bereits in früheren Spielen war das erkennbar: Adam Saltsman beispielsweise wurde mit dem Über-Hausdächer-springen-Kracher «Canabalt» berühmt (den ich als «Hollywood-Blockbuster auf das Minimum reduziert» beschrieben habe). Und sein Kollege Greg Wohlwend fiel mir mit «Solipskier» erstmals auf («Es gibt Spiele, die man schon nach zehn Sekungen heiss liebt. Solipskier ist so eins.»).

In «Hundreds» vervollkommnen sie diese Philosophie. Flache Kreise in Rot, Weiss oder Grau. Kaum Text – wenn doch, dann in strenger Helvetica. Ein hypnotisch monotoner Soundtrack, nur ab und zu von präzisen Geräuschen durchzogen (tolles Eisgeknister!).

Rote Blähungen

Game Over: Der Bildschirm färbt sich rot ein.
Legende: «IF THEY TOUCH WHEN RED THEN YOU ARE DEAD» Screenshot

Und dann eben: Wir lassen Blasen wachsen. Eine oder mehrere solcher grauen Blasen sind auf dem Bildschirm; später bewegen sie sich meist, prallen voneinander ab, abhängig von ihrer Grösse; doch zu Beginn sitzen sie noch still da. Wir berühren eine Blase, sie wächst. Ihre Fläche wird als aufsteigende Zahl angezeigt. In der Mitte des Bildschirms sehen wir ein laufendes Total. Erreicht es 100, haben wir den Level bestanden.

Die einzige Regel: Während wir Blasen wachsen lassen, werden sie rot. Und wenn Blasen rot sind, dürfen sie nichts anderes berühren.

Überraschende Permutationen

Audio
Der Game-Tipp zu Hundreds (SRF 3)
04:30 min
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 30 Sekunden.

Damit ein so elegantes Grunddesign länger als eine Busfahrt trägt, muss man es variieren. Und das macht «Hundreds» vorbildlich. Mit fast jedem Level kommen neue Elemente ins Spiel: Blasen, die nicht wachsen, sondern bei Berührung platzen. Blasen, die einen negativen Wert haben und erst geschrumpft werden müssen, sozusagen Antimaterie. Blasen, die mit einer zweiten gekoppelt sind und nur wachsen, wenn wir beide gleichzeitig berühren. «Undichte» Blasen, die wieder schrumpfen. Blasen, die immer rot sind und darum nie etwas berühren dürfen. Blasen, die von einer Eisschicht umgeben sind und erst wachsen, wenn diese gesprengt ist. Oder Sägeblätter, die grossen Blasen die Luft rauslassen.

Jedes dieser Elemente überrascht und fordert von neuem heraus – wir erhalten nie das Gefühl, einfach mehr vom gleichen zu absolvieren. Und dass neue Elemente nie lange erklärt werden müssen, weil sich ihre Eigenschaft sofort intuitiv erschliesst, demonstriert eindrücklich die Stärke des Designs.

Abwechslungsreiche Dramaturgie

PERSISTENCE WITHOUT PATIENCE

Box aufklappen Box zuklappen

Ab und zu bekommen wir nach einem gelösten Level eine codierte Nachricht angezeigt, scheinbar wirr zusammengewürfelte Buchstaben. Mit Geschick und Geduld und etwas kryptographischem Basiswissen können wir sie entschlüsseln - besonders Clevere können sich darin verbeissen. Ein eleganter Trick, um Tempo herauszunehmen.

Besonders gut ist, dass diese neuen Elemente meist auch die Spielweise deutlich verändern. In einigen Leveln geht es eher darum, geduldig auf den richtigen Moment zu warten: bis eine Blase aus dem Getümmel in den freien Raum driftet, um da sicher zu wachsen. In anderen Leveln (insbesondere solchen mit permanent roten Blasen) müssen wir dagegen blitzschnell reagieren, um ein frühzeitiges Ende zu verhindern. In wieder anderen verrenken wir die Finger à la «Twister», um gleichzeitig mehrere Blasen zu berühren, ohne mit dem Finger etwas wichtiges zu verdecken und «im blinden Winkel» erwischt zu werden.

Und schliesslich geht es immer darum, eine klare Lösungsstrategie zu haben. Wer einfach stur drauflos improvisiert, bleibt hängen. Ab und zu steigt die Schwierigkeit sprunghaft an: etwa im Level Forty, mit zehn wild abprallenden Bläschen und vier fiesen Sägeblättern (4 x 10 = 40!). Oder Level Sixty Two, mit einer grossen fetten «-50»-Blase im Eis, die wir entfrosten müssen – wegen zwei roter Blasen aber unter Zeitdruck.

Eine verschlüsselte Nachricht erscheint.
Legende: Na klar! Wieder irgendwas mit Harfe! Screenshot

Während beim letzteren Beispiel ein entscheidender strategischer Gedankenblitz zum Ziel führt (Tipp: eine Rote wenig aufblasen), braucht es beim ersteren ein bisschen Glück und Geduld, die Blasen im richtigen Moment zu erwischen. Manchmal führt Nachdenken zum Ziel, manchmal geht es darum, intuitiv ein günstiges Muster zu erkennen und schnell darauf zu reagieren.

Mal hektisch, mal überlegt; mal etwas Glück, mal eine gute Idee: In «Hundreds» wirken diese Betonungen immer gezielt gesetzt, nie zufällig. Mal fordert es uns, mal zwingt es uns zum Innehalten, mal lässt es uns leicht durch die Level gleiten. Meisterhaft.

«Hundreds» ist für iOS, zum Download im App Store. Das Haikiew ist hier.

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