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Big Data: Das grosse Vermessen Mathe ab dem 6. Monat

Zahlen sind allgegenwärtig – das merken auch Kinder. Darum wollen sie schon sehr früh zählen lernen. Gleichzeitig gibt es kaum etwas Abstrakteres als Zahlen. Wie genau geht das: Zählen lernen? Neuere Forschungen zeigen: Es ist eine Kombination aus Lernen und einem angeborenen Zahlensinn.

Ben, Arina und Nicola sitzen zusammen mit vier andern Kindern zwischen drei und sechs Jahren im Kreis. Ob mit den Fingern oder mit einem Wort: Alle können zeigen oder sagen, wie alt sie sind. Sie zählen auch mühelos, wie viele Schmetterlinge auf einer Karte aufgemalt sind, die ihnen die Krippenleiterin vorlegt.

Ben, mit sechs Jahren der älteste, muss nicht einmal mehr abzählen: Er sieht die sechs Schmetterlinge auf einen Blick. Die dreijährige Mireille zählt Tier für Tier einzeln ab. Die vierjährige Anais hat noch eine dritte Methode, sie zählt nicht ab, sondern sieht 3 plus 3 Schmetterlinge – macht 6.

Schritt für Schritt das Zählen lernen

Claudia Roebers, Entwicklungspsychologin an der Universität Bern, schaut dem Kinderspiel zu. Ihr Büro ist zehn Fussminuten von der Kita entfernt; nun sitzt sie mit den Kindern im Kreis und freut sich, wie die Kinder exemplarisch demonstrieren, welche verschiedenen Zählmethoden es gibt. Die simpelste ist das Abzählen, die so genannte Eins-zu-eins-Regel.

Aber auch diese Eins-zu-eins-Regel will erst gelernt sein: «Kleine Kinder zählen 1, 2, 3, 7, 8, 9, 12. Und wenn man sie fragt, wie viele hast du, sagen sie 20.» Sie verstehen also, dass die Zahlen der Reihe nach immer grösser werden. Doch sie lassen einige aus – und sie verstehen nicht, dass die letzte Zahl der gesamten Menge an Ziffern entspricht. Auch dieses so genannte Kardinalitätsprinzip müssen Kinder erst einmal lernen.

Das Thema im Radio

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Den Beitrag zu diesem Thema und Allerlei mehr zu Zahlen und ihrer Bedeutung sendet der HörPunkt am 2. Oktober von 9 bis 15 Uhr auf Radio SRF 2 Kultur – mit dem Thema «Von 1 bis viel – Macht und Magie der Zahlen».

Schweizer Pionier Jean Piaget

Entwicklungspsychologen interessieren sich schon seit langem für die Frage, wie wir zählen lernen. Ein Pionier in diesem Bereich war der Schweizer Jean Piaget. Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelte er die Theorie, dass kleine Kinder erst allmählich ein Zahlenverständnis entwickeln, durch die Imitation älterer Kinder und Erwachsener.

In einem berühmten Experiment legte er Kleinkindern zwei Reihen mit Perlen oder Bauklötzen vor. In beiden Reihen lag die identische Anzahl Klötzchen, doch die eine Reihe war kürzer, weil die Klötzchen da näher beieinander lagen. Das Resultat: Für kleine Kinder scheint es so, als hätte die längere Reihe mehr Klötzchen als die kürzere.

Piaget ging deshalb davon aus, dass ein früher Zahlensinn nicht existiert, sondern dass wir uns alles durch Imitation und Lernen aneignen müssen. Neuere Experimente mit sechs- bis neunmonatigen Babys beweisen allerdings das Gegenteil.

Zwischen 2 und 3 unterscheiden

Psychologin Roebers erläutert in diesem Zusammenhang ein vielsagendes Experiment: Ein Forscherteam setzt ein Baby vor ein Kasperlitheater und lässt eine Puppe von rechts die Bühne betreten. Eine Wand taucht auf, hinter der die erste Puppe verschwindet. Dann kommt eine zweite Puppe auf die Bühne, die ebenfalls hinter der Wand verschwindet.

Die Reaktion der Säuglinge zeigt ihre Intelligenz: Nimmt man die Wand dann weg und sehen die Babys zwei Puppen, sind sie nicht weiter überrascht. Sie schauen kurz hin, interessieren sich dann aber schnell wieder für etwas anderes. Doch wenn drei Puppen oder nur noch eine erscheinen, staunen sie und bleiben mit dem Blick länger beim Geschehen haften, weil sie etwas anderes erwarten.

«In der Forschung nennt sich das ‹violation of expectation›», erklärt Claudia Roebers, «man kann sicher darüber diskutieren, ob das nun schon ein früher Sinn für Mathematik ist. Ich finde schon.»

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