Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Stefan Hofmänner Kommentier-Marathon am Unspunnen

Mit Schwingen kennt er sich aus: Schon beim Unspunnen 1999 stand Stefan Hofmänner am Mikrofon – seine Premiere als Sportkommentator bei SRF. 18 Jahre später fasst er zum vierten Mal die Unspunnen-Wettkämpfe in Worte. Trotz Routine ein Kraftakt – über zehn Stunden. Wie er den Tag erlebt hat?

Früh am Sonntagmorgen. In Interlaken kommen einige erst vom Ausgang heim, wir verlassen das Hotel. Es dauert noch zwei Stunden bis zum Beginn des Unspunnen-Schwinget. Wir von der SRF-Crew treffen uns aber jetzt schon auf dem noch finsteren Festgelände, setzen uns in eine Ecke des fast menschenleeren Festzeltes zu Kaffee und Gipfeli. Es ist ziemlich still an unserem Tisch. Alles ist am Vortag noch einmal besprochen, durchdacht und getestet worden.

Wir sind bereit für einen langen Tag – und voller Respekt vor einer grossen Aufgabe.

Um sieben Uhr sind alle auf ihren Positionen: Kameraleute, Techniker, Produzenten, Moderator, Kommentator, Experten. Ich, der Kommentator, gehe in Gedanken noch einmal den Anfang durch.

Der Anfang ist wichtig, wenn der funktioniert, geht nachher alles leichter.

Ihr Themenvorschlag

Box aufklappen Box zuklappen

In der Rubrik «Backstage» schreiben SRF-Mitarbeitende über Erlebnisse aus ihrem Berufsalltag. Eine Übersicht aller Kolumnen finden Sie hier. Und worüber möchten Sie eine Backstage-Geschichte lesen? Schreiben Sie uns.

Zwanzig Minuten später beginnt unsere Sendung, es folgt der Einmarsch der Schwinger und mein erster Einsatz. Ich versuche, dem Fernsehpublikum meine Vorfreude und die steigende innere Spannung zu vermitteln. Die Regie zieht mit, zeigt die Favoriten, in deren Gesichtern die Anspannung zu sehen ist. Zum ersten Mal heute erzählt die ganze Crew gemeinsam mit Bildern und Worten Geschichten.

Wir versuchen, für die Menschen daheim vor den Fernsehgeräten den Teppich auszubreiten, auf dem sich die Dramaturgie und Dramen des Tages entwickeln werden.

Dann beginnt der Wettkampf. Die fünfzehn Spitzenpaarungen des ersten Ganges sind seit Donnerstag bekannt, und so weiss ich in den ersten eineinhalb Stunden genau, was auf mich zukommt. Ich habe die Statistiken bereit, ebenso die Anekdoten aus der Saison, habe mir Übergänge von einem Kampf zum nächsten überlegt. Wir kommentieren zu zweit. Mein Co-Kommentator Adrian Käser und ich, wir sind seit neun Jahren gemeinsam am Mikrofon und bestens aufeinander eingespielt.

Ich weiss genau, wann ich während eines Kampfes zu einem Punkt kommen muss, damit er seine fachlichen Analysen anbringen kann.

Die Pause zwischen den Spitzenpaarungen des ersten und zweiten Gangs überbrückt SRF-Moderator Matthias Hüppi zusammen mit dem ehemaligen Schwinger Jörg Abderhalden. Ich höre so gut wie möglich zu, damit ich im Kommentar aufnehmen kann, was die beiden auf der Moderationsplattform ansprechen. Gleichzeitig folge ich den Kämpfen, die am Laufen sind, ohne dass wir sie live zeigen. Und habe immer den Monitor im Blick, der uns die Resultate und die kommenden Einteilungen anzeigt.

Von jetzt an weiss ich nicht mehr, was auf uns zukommt. Die Einteilung der Spitzenschwinger wird nach und nach bekannt und ich beginne, mich auf genau diese Paarungen vorzubereiten.

Ich sortiere Persönliches und Statistisches zu den jeweiligen Kämpfern, alles, was ich an vielen Sonntagen des Sommers auf den Schwingplätzen mitgekriegt und an ebenso vielen Tagen statistisch aufbereitet und niedergeschrieben habe.

Die letzten Einteilungen dieses Ganges kommen spät, wir sind schon wieder am Kommentieren. Ich muss jetzt also einerseits reden, andererseits bereits vorausdenken. Prompt verwechsle ich die Vornamen eines Schwingers und seines Vaters. Sehr ärgerlich.

Jetzt bloss nicht über diesen Lapsus nachdenken, sondern ihn zähneknirschend akzeptieren und sofort abhaken. Sonst geschieht gleich der nächste Fehler.

Nach drei Gängen und fast fünf Stunden Sendung ist kurze Mittagspause. Zeit, um irgendwo essen zu gehen, habe ich nicht. Und vermutlich sehe ich hungrig aus. Ein Zuschauer, der unmittelbar vor uns seinen Sitzplatz hat, streckt mir ein Stück Wurst zu. Hirschwurst, sagt er, und sie schmeckt herrlich.

Am Nachmittag die sich wiederholende Abfolge von Kommentieren, Zuhören, Schauen, Vorbereiten. Mit der zusätzlichen Erschwernis, dass noch der Final des Steinstossens hinzukommt. Zwischen dem vierten und dem fünften Gang des Schwingens erfahre ich, welche drei Athleten diesen Final erreicht haben. Ich schaue meine Biografien der betreffenden Steinstösser nochmal kurz durch, kommentiere dann den fünften Gang der Schwinger und gleich darauf das Steinstossen. Dieser Final ist dramatisch. Wieder können wir ausführlich erzählen – vom Gewinnen, Verlieren, Scheitern, Triumphieren.

Dabei verliere ich nur leider die Vorbereitungszeit für den sechsten Gang und den Schlussgang.

Zum Ende des Tages, fast neun Stunden nach Beginn unserer Sendung, muss ich deshalb mehr improvisieren. Aber es ist jetzt auch weniger wichtig, noch einmal die Biografien der Athleten auszubreiten. Jetzt gilt es, die Geschichten des heutigen Tages zu Ende zu erzählen. Inklusive des grossen Finals, dem letzten Kampf des Tages, dem Schlussgang. Noch einmal bauen wir – die Regie mit Bildern und ich mit Worten – gemeinsam Spannung auf. Noch einmal bereiten wir den Teppich für die letzten Dramen des Tages.

Noch einmal gibt es von diesem freundlichen Zuschauer vor uns ein Stück Hirschwurst. Noch einmal überlege ich mir genau, wann welche Worte und Informationen am besten passen.

Dann gewinnt Christian Stucki mit letzter Kraft den Kampf. Für diese letzte Entscheidung des Tages bin ich noch einmal hellwach, die letzten Sätze an diesem langen Sonntag gehen wie von selbst über die Lippen und ins Mikrofon.

Dann, zehn Stunden nach dem ersten Wort, ist mein Einsatz vorbei. Und mein Kopf leer. Möge mich jetzt bloss niemand fragen, ob ich zufrieden mit unserer Sendung sei.

Ich habe keine Ahnung. Aber eines weiss ich: Wir haben seit dem frühen Sonntagmorgen alles dafür gegeben.

Meistgelesene Artikel