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Wolfgang Wettstein Über Jim Knopf, Herrn Tur Tur und Fehlentscheidungen aus Angst

Als Kind konnte ich nicht genug kriegen von den Abenteuern, die Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer in den Erzählungen von Michael Ende erlebten.

Wolfgang Wettstein
Legende: Wolfgang Wettstein SRF

Eine Geschichte machte mir besonders Eindruck. Auf ihrer Reise in der chinesischen Wüste trafen meine beiden Helden Herrn Tur Tur. Jim hatte schreckliche Angst, denn Herr Tur Tur war ein Furcht erregender Riese. Jim wollte davonlaufen, aber es nützte nichts. Der Riese wurde immer grösser. Es gab kein Entkommen. Doch Herr Tur Tur war ein Scheinriese. Je weiter man sich von ihm entfernte, desto größer sah er aus. Nur wer sich nah an ihn heran wagte, merkte, dass er genauso groß war wie ein ganz normaler Mensch. Jim fasste sich ein Herz und ging auf Herrn Tur Tur zu. Lukas der Lokomotivführer, der schon vorausgelaufen war, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: «Na siehst du. Angst taugt nämlich nichts. Wenn man Angst hat, sieht meistens alles viel schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist.»

 

 Auch als Konsument besteht die Gefahr, aus Angst Entscheidungen zu treffen, die womöglich wenig sinnvoll sind. Viele haben Angst vor der Zukunft, weil wir sie nicht kennen. Diese Ungewissheit bringt uns vielleicht dazu, unnötige Versicherungen abzuschliessen, die viel kosten, aber keinerlei Nutzen bieten.

 

 Viele haben Angst davor, etwas zu verpassen oder zu kurz zu kommen. Sie lassen sich deshalb vermeintliche Schnäppchen aufschwatzen, obwohl ihnen die Händler mit solchen Aktionen nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen. Geschenkt ist nichts.

 

 Viele sparen fürs Alter, aus Angst fürsorgeabhängig zu werden. Sie sparen auch dann noch, wenn sie schon alt sind und nicht mehr lange zu leben haben. Sie sterben mit dickem Bankkonto. Besser wäre es, wenn sie mit dem Ersparten den Lebensabend geniessen würden.

 

 Auch die Abstimmungsergebnisse zur Ausschaffungsinitiative haben gezeigt, was Angst bewirken kann. Bürger aus ländlichen Ortschaften, in denen nur wenige Ausländer leben, stimmten deutlich für die Ausschaffung krimineller Ausländer - obwohl sie kaum mit Ausländern zu tun haben und diese nicht kennen. Das Unbehagen vor dem Fremden trieb offensichtlich viele Stimmbürger an die Urne. Bürger aus Städten jedoch, in denen viele Ausländer leben, stimmten gegen die Ausschaffungsinitiative. Zürcher, Berner und Basler lehnten die Initiative deutlich ab. Sie sind mit Ausländern vertraut und sehen sie deshalb nicht als Bedrohung.

 

 Es lohnt sich also, sich der Angst zu stellen. Wie Jim Knopf und Lukus der Lokomotivführer. Sie schickten den Scheinriesen Tur Tur nicht fort, sondern holten ihn nach Hause, nach Lummerland, wo er seine Fähigkeiten optimal nutzen konnte. Er arbeitete als Nachtwächter. Jeden Tag stand er am Strand und schwenkte eine Laterne. So leuchtete er schon von Weitem den Schiffen den Weg.

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