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Kniespiegelung - Die Kassenpflicht wackelt
Aus Puls vom 21.08.2017.
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Gesundheit Ist bald Schluss mit bezahlten Kniespiegelungen bei Arthrose?

Was tun, wenn die Abnützung zu Kniebeschwerden führt? Studien belegen: Dann hilft Knietraining auf Dauer genauso gut wie Schlüssellochchirurgie. Nun lässt der Bund die Wirksamkeit minimalinvasiver Eingriffe im vom Alter geplagten Knie überprüfen. Und kippt sie womöglich aus der Grundversicherung.

Bei Kniebeschwerden können Orthopäden mit ihren Geräten ins Kniegelenk schauen, das Gelenk spülen, den Gelenkknorpel glätten, oder ein Stück gerissenen Meniskus entfernen. Alles kein Problem und oft und gern gemacht – die Rechnung geht ja an die Krankenkasse!

Bloss: Genau das könnte sich ändern, wenn die Beschwerden nicht durch einen Unfall, sondern durch Abnützung verursacht wurden.

Das Bundesamt für Gesundheit lässt derzeit überprüfen, ob solche Eingriffe am Arthrose-geplagten Knie überhaupt etwas bringen und weiterhin von der Grundversicherung vergütet werden sollen. Die Daten eines Basis-Berichts liegen inzwischen vor. Der Bericht belegt, dass 2014 allein stationär 18'500 Patienten mit Knieproblemen eine arthroskopische Behandlung bekamen.

Knie-Spiegelungen schon lange in der Kritik

Minimal-invasive Eingriffe bei abnützungsbedingten Knie-Problemen werden durch Studien seit Jahren in Frage gestellt. Der Grund: Es lassen sich mittel- bis längerfristig zu wenig Vorteile belegen im Vergleich zu billigeren, konservativen Therapien, die auf Körpertraining beruhen.

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Aufhören mit Knieoperationen!
aus Wissenschaftsmagazin vom 03.06.2017. Bild: keystone
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In einer finnischen Studie, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen schnitt ein echter Eingriff am Knie sogar nicht besser ab als eine Schein-Operation.

Selbst Ärzte sind der Meinung, es werde noch immer zu viel im operiert bei Abnützungserscheinungen im Knie. Gründe dafür sind wirtschaftliche Fehlanreize für die Chirurgen – und Patientenwünsche.

Bei allen Beteiligten ist offenbar ein Umdenken gefordert. Denn es wird noch immer zu viel operiert: Eine neue Studie des Instituts für Hausarztmedizin der Universität Zürich, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen kritisiert anhaltend hohe Eingriffszahlen in der Schweiz: Gemäss einer Hochrechnung, die sich auf Daten des Krankenversicherers Helsana stützt, haben jährlich 16'000 Personen in der Schweiz eine Meniskus-Operation, ohne Vorliegen eines Unfalls.

Im Mai 2017 veröffentliche das «British Medical Journal» Empfehlungen einer internationalen Experten-Gruppe, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen: Diese rät klar ab von arthroskopischer Chirurgie bei degenerativen Knie-Problemen. Massnahmen wie Knorpelglättung oder Meniskus-Teilentfernung hätten weder bezüglich Schmerz noch bezüglich Funktionalität einen Langzeitvorteil im Vergleich zur konservativen Behandlung mit gezieltem Knie-Training.

Deutschland hat Kostenübernahme bereits gestrichen

In Deutschland werden arthroskopische Verfahren zur Behandlung der Kniegelenks-Arthrose seit Ende 2015 von den gesetzlichen Krankenkassen nicht mehr bezahlt. Geprüft wurden Gelenkspülung, Abtragen von Gelenkschleimhaut, Knorpelglättung und Meniskusentfernung.
Unberührt vom Ausschluss sind: Befunde nach Trauma (Unfall), akute Gelenkblockaden, oder Meniskus-Probleme, die nicht in erster Linie Arthrose-bedingt sind, sondern eine behebbare Ursache haben.
Auch Schweizer Ärzte verlangen, dass in bestimmten, begründeten Fällen die Grundversicherung Eingriffe bei degenerativen Knie-Beschwerden weiterhin vergütet.
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Leistungen unter der Lupe
Aus Puls vom 21.08.2017.
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Wirksam, zweckmässig, wirtschaftlich?

Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) verlangt in Artikel 32: «Die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen werden periodisch überprüft.» Unter dem Druck stetig steigender Gesundheitskosten bewilligte der Bundesrat 2016 das nötige Geld für regelmässige Überprüfungs-Verfahren, sogenannte Health Technology Assessments (HTA).

Im Bundesamt für Gesundheit wurde eine HTA-Einheit mit 10 Stellen geschaffen. Diese vergibt an externe Fachstellen, etwa an Universitäten, den Auftrag, kassenpflichtige Behandlungen zu überprüfen. Am Ende entscheiden die Bundesbehörden: Ist die überprüfte Leistung wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich? Soll sie weiter von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet werden – oder nicht?

Künftig sollen nicht nur Behandlungen, sondern auch Laboranalysen und Hilfsmittel überprüft werden.

Neun Behandlungen unter der Lupe

Die ersten neun HTA-Verfahren sind beschlossen oder angelaufen (Stand 21. August):

  • Knie-Arthroskopien: Der Vorbericht (Scope) liegt vor, der Entscheid könnte 2018 gefällt werden.
  • Eiseninfusionen/Eisentabletten: Der Vorbericht soll demnächst veröffentlich werden.
  • Wirbelsäulen-Eingriffe: Das Eidgenössische Departement des Innern hat beschlossen, dass die untersuchten Leistungen ab 1. Juli 2017 definitiv leistungspflichtig sind.

Weitere drei Behandlungen wurden 2016 aus elf Vorschlägen ausgewählt und befinden sich in der ersten Phase der Überprüfung:

  • Blutzucker-Selbstmessung bei Diabetes mellitus Typ 2 ohne Insulinpflicht
  • Chondroitinsulfat bei Gelenkarthrosen
  • Entfernung von Osteosynthesematerialien nach Knochenbrüchen
  • Die Behandlung von Bluthochdruck mit Olmesartan-Präparaten
  • Der Einsatz von Tests zur Bestimmung von Vitamin D im Blutserum
  • Langzeitbehandlung mit Protonenpumpen-Hemmer bei Patienten mit nicht-erosiver Refluxerkrankung und nicht-endoskopierter Refluxerkrankung

Vorschläge für ein HTA-Überprüfungs-Verfahren kann jeder machen

Welche Behandlungen sind zu wenig wirksam? Was soll die Krankenkasse nicht mehr bezahlen? Vorschläge für HTA-Überprüfungen kann im Prinzip jeder machen. Die Einreichfrist für Themen, die im Jahr 2018 behandelt werden sollen, ist der 31. Oktober 2017.

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