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Wetterfühligkeit – Einbildung oder Realität?
Aus Puls vom 19.09.2016.
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Jeder Zweite spürt das Wetter – Was ist bewiesen?

Viele Menschen sind sicher, dass das Wetter ihre Gesundheit beeinflusst. Die Forschungslage ist jedoch dünn. Es gibt Hinweise darauf, dass Wetterwechsel Beschwerden auslösen können, etwa Migräne-Attacken. Eine Schweizer Studie will dem Einfluss des Wetters auf Rheuma-Schmerzen auf die Spur kommen.

In Deutschland glaubt die Hälfte der Bevölkerung, dass das Wetter einen Einfluss auf die Gesundheit hat. Das ergab 2013 eine repräsentative Befragung durch den deutschen Wetterdienst. Die Wetterfühligen nannten als häufigste Beschwerden: Kopfschmerzen und Migräne, Müdigkeit, Gelenkschmerzen und Schlafstörungen. Wetterwechsel mit Temperaturrückgang machten den Befragten am meisten zu schaffen.

Wetter und «Nocebo-Effekt»

Dass Wetterfaktoren die Psyche beeinflussen, das gilt auch für Fachleute als naheliegend. Sie sprechen vom «Nocebo-Effekt». Das bedeutet: Die Überzeugung, dass eine bestimmte Wetterlage Beschwerden auslöst oder verstärkt, führt am Ende zu einem tatsächlichen Auftreten erwarteter Beschwerden. Es tritt also das Gegenteil eines Placebo-Effekts ein.

Dünne Studienlage: Mehr Migräne bei Temperaturabfall?

Das Problem von Wetter-Studien: Mediziner und andere Wissenschaftler finden selbst, die Studienlage zum Thema Wetterfühligkeit sei dünn, oft methodisch mangelhaft, Ergebnisse widersprüchlich oder zufällig. Oft würden nur Studien mit positiven Resultaten veröffentlicht. Mit Wetterfühligkeit befassen sich zum Beispiel zwei aktuelle Forschungsarbeiten aus Deutschland

  • Mehr Migräne bei Wetterwechseln? Eine Berliner Studie stellte 2014 fest, dass eine kleine Gruppe der Studienteilnehmer empfindlich auf verschiedenste Wetterwechsel reagierte. Der Schweizer Kopfweh-Spezialist Peter Sandor ist überzeugt, dass das Wetter bei Migräne ein wichtiger Faktor ist.
  • Mehr Schlaganfälle bei Temperaturabfall? Deutsche Wissenschaftler veröffentlichten 2016 eine Studie, die ergab: Rasche Wetterwechsel mit Temperaturrückgang, sowie ein rascher Wechsel von Luftdruck- und Luftfeuchtigkeit können das Schlaganfall-Risiko erhöhen, vor allem bei vorbelasteten Personen. Schweizer Experten wollten dieses Resultat nicht bestätigen.
  • Mehr Herzinfarkte bei Tiefdrucklage? Wie heikel Studien zu Wetterfühligkeit sind, erfuhr Atmosphärenphysiker Hans Richner, emeritierter Professor der ETH Zürich. Er untersuchte mögliche Zusammenhänge zwischen Tiefdrucklage und 39'000 Herzinfarkt-Fällen. Das Ergebnis: Es gab je nach Wetterlage tatsächlich Häufungen, doch diese hielten der Auswertung von Kontroll-Daten nicht stand. Das bedeutet, so der Wissenschaftler: Die statistischen Befunde waren zufällig.

Aktuelle Forschung in Grossbritannien und der Schweiz

Mieses Wetter lässt Schmerzpegel steigen: In England beteiligen sich derzeit 12'000 Menschen an einer Studie der Universität Manchester. Diese wird persönliche Einschätzungen von Menschen, die an chronischen Schmerzen leiden, mit regionalen Wetterdaten vergleichen. Eine erste Auswertung ergab: Regenwetter und wenig Sonne lassen die Schmerzpegel steigen – allerdings stützt sich dieses Resultat im Moment noch auf sehr wenige Daten.

Schweizer Studie zu Wetter und Rheumaschmerz: Angelaufen ist auch eine Schweizer Studie, an der sich Patienten beteiligen können, die wegen Rheumatoider Arthritis in Behandlung sind. Die Compass-2-Studie hat zum Ziel, die Krankheits-Kontrolle zu verbessern. Gleichzeitig wird untersucht, ob es einen belegbaren Zusammenhang gibt zwischen lokaler Wetterlage und Beschwerden.

Was genau stellt das Wetter mit dem Körper an?

Ob bestimmte Wetterfaktoren die Gesundheit beeinflussen, ist also noch zu wenig belegt. Ebenso unklar ist, wie genau denn das Wetter Beschwerden auslösen könnte. Hier einige Erklärungs-Ansätze:

  • Anpassungsprobleme: An die Veränderung von Temperatur und Luftfeuchtigkeit muss sich der Organismus zweifellos anpassen. Dass Hitzestress die Sterblichkeit erhöht, ist seit dem Hitzesommer 2003 eindeutig belegt. Es gibt auch Hinweise darauf, dass Kältestress möglicherweise Herzinfarkte oder Hirnblutungen fördern kann.
  • Kälte-Stress-These: Das Herz-Kreislauf-System muss sich dem kalten Wetter anpassen, Blutgefässe ziehen sich zusammen, das Herz pumpt gegen mehr Widerstand (Oliver Opatz, Physiologe, Charité/Universitätsmedizin, Berlin).
  • Vegetatives Nervensystem: Eine andere Hypothese ist, dass sich bei Wetter-Veränderungen die Aktivität des vegetativen Nervensystems verändert, das wiederum Entzündungs-Prozesse und die Schmerzwahrnehmung beeinflusst (Hanns Ulrich Zeilhofer, Pharmakologe, Universität Zürich).
  • These, dass sich Gelenke dehnen: Bei Rheuma-Patienten, so eine Theorie, könnten sich unter niedrigem Luftdruck Gelenke ausdehnen, wodurch der Zug in der Gelenkhaut steigt, was zu mehr Schmerzen führt. Weiter könnte die vom Wetter beeinflusste Stimmung dazu führen, dass das Gehirn Schmerzsignale mehr oder weniger stark bewertet. (Ulrich Walker, Rheumatologe, Unispital Basel)

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