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Lernen – gewusst, wie Wenn der schwächste Schüler eine Maschine ist

Ein ungewöhnliches Experiment der ETH Lausanne: Ein Roboter soll Schulkindern beim Schreiben helfen, indem er ihnen erlaubt, ihn selbst zu unterrichten. Über die Faszination der Kinder und die Ängste der Lehrer – ein Interview mit Conrad Hughes, der das Projekt begleitet hat.

Nao, der weiss-orange, 60 Zentimeter grosse, humanoide Roboter, schreibt auf einem Tablet Buchstaben und Wörter. Und eine Horde Kinder schart sich um ihn. Der Roboter soll diesen Kindern helfen, ihre eigene Schrift zu festigen. Aber nicht, indem er es ihnen einfach vormacht. Ganz im Gegenteil. Er gibt vor, selbst nicht gut schreiben zu können, damit die Kinder ihn korrigieren können. Der Effekt: Während sie mit dem Roboter interagieren, festigen die Kinder das eigene Schrift-Wissen.

Zur Person

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Conrad Hughes ist verantwortlich für Ausbildung und Innovation an der Internationalen Schule Genf. Die Privatschule unterrichtet 4500 Kinder und Jugendliche aus 140 Nationen, von der Primarstufe bis zur Matura.

Getestet wurde der kleine Roboter mit Schreibschwäche unter anderem bei 6- bis 8-jährigen Schülern in der Internationalen Schule Genf. Conrad Hughes ist verantwortlich für Ausbildung und Innovation an dieser Schule und hat das Experiment begleitet.

«Einstein»: Herr Hughes, Kinder werden zu Lehrern. Hat das Experiment mit dem Roboter in Ihren Augen funktioniert?

Conrad Hughes: Absolut. Es ist verblüffend, wie positiv die Kinder auf den Roboter reagiert haben; nicht zuletzt, weil er menschliche Züge hat, Arme, Beine und irgendwie niedlich ist. Um etwas richtig weiterzugeben, also zu unterrichten, muss man sich auskennen. Und indem man den Kindern die Verantwortung überträgt, dem Roboter zu sagen, dass dieser oder jener Strich beim Buchstaben eher anders geschrieben werden muss, geben wir ihnen die Chance das selbst Gelernte anzuwenden. Es ist also das Lernen selbst, das sie antreibt. Kinder als Lehrer, ein Roboter als Schüler – das war für sie ein grosses Lernabenteuer.

Können oder sollen Roboter wirklich Lehr-Aufgaben übernehmen?

Wir müssen unterscheiden, welche Art von Inhalt wer vermitteln soll. Die einfachen, statischen und mechanischen Arbeiten bei der Wissensvermittlung könnte man tatsächlich dereinst an Roboter auslagern. Für das Aufzeigen und Hinterfragen komplizierter Zusammenhänge sind aber Menschen unverzichtbar. Die komplexeren, interaktiven Aufgaben verlangen Fingerspitzengefühl. Nur ein Mensch kann auf ein Kind eingehen. Würde man für mechanische Arbeiten mehr Maschinen einsetzen, dann hätte man als Lehrer mehr Raum und Zeit für die anspruchsvolleren Aufgaben, das sehe ich absolut so.

Was wir sicher nicht wollen, ist dass sich jedes Kind mit einem technischen Gerät in einer Ecke des Schulzimmers verkriecht.
Autor: Conrad Hughes

Können Maschinen hier vielleicht sogar eine Lücke füllen?

Für Lehrer wird es immer schwieriger, sich bei 25 Kindern dem Wissensstand jedes Einzelnen so detailliert anzunehmen, wie es nötig wäre. Wenn die Lehrer aber künftig auch schlaue Software einsetzen könnten, welche ihnen ermöglicht zu sehen, wo genau die Schwächen und Stärken eines Kindes liegen, dann brächte das ganz neue Möglichkeiten für die individuelle Betreuung. Doch Computer können die Kinder auch schnell isolieren. Was wir sicher nicht wollen, ist dass sich jedes Kind mit einem technischen Gerät in einer Ecke des Schulzimmers verkriecht. Aber sehr wohl sehe ich Gruppen à vier Schülern, die gezielt ein Problem mittels Maschinen oder Robotern thematisieren und hinterfragen. Und in diesem sozialen Austausch von einander lernen.

Zum Projekt «CoWriter»

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Ein Roboter schreibt so, dass Kinder, die mit ihm arbeiten, ihn verbessern können. Dabei reflektieren die Schüler ihr eigenes Schrift-Wissen («learning by teaching»). Das Projekt ist Teil der Forschung des CHILI-Labs (Computer-Human Interaction in Learning and Instruction) der Ecole Polytéchnique Fédéral de Lausanne (EPFL).

Bedrohen solche Roboter nicht den Beruf des Lehrers fundamental?

Tatsächlich gibt es grosse Ängste unter den Lehrern, dass Maschinen sie einst verdrängen könnten. Aber diese halte ich für unbegründet. Ich glaube, es wird immer Leute geben, die die Technik weit von sich weisen und andere, die darin eine Chance sehen. Spannend dabei ist, dass gerade die Jüngsten, die Kinder, diese Chancen zuerst sehen. Es ist – wie überall – so auch an unserer Schule ein grosses Thema, ob man Facebook zulassen soll oder nicht. Aber wenn man mit den Kindern spricht, ist Facebook eh schon veraltet, sie wenden sich bereits ganz neuen Medien zu, die bei uns noch gar nicht auf dem Radar sind. Die Generation «Digital Native» hat hier bereits ein ganz eigenes Tempo.

Was muss man heute wirklich noch lernen und was nicht? Das ist eine beängstigende Frage.
Autor: Conrad Hughes

Gibt es für Sie eine Schlüssel-Erkenntnis aus diesem Roboter-Experiment?

Heutzutage ist es wichtig, an Schulen vor allem Kompetenzen zu vermitteln. Viele Informationen findet man heute über jedes Handy, das muss man nicht auswendig können. Warum lernen wir so viel über geometrische Formen oder Trigonometrie? Wenn doch das meiste an Mathematik, das wir später benutzen – wenn wir nicht in einem mathematischen Beruf arbeiten – am ehesten Statistik ist. Statistik hingegen wird kaum gelehrt. Wir müssen uns also tatsächlich der Frage stellen: Was muss man heute wirklich noch lernen und was nicht? Und das ist eine furchtbar beängstigende Frage, aber sie ist wichtig.

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