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Atomreaktor im Taschenformat
Aus Wissenschaftsmagazin vom 07.08.2023.
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Atomreaktor im Taschenformat Wo üben eigentlich angehende Nuklearingenieure?

Nuklearingenieure in Ausbildung üben zuerst im Kleinformat und nicht gleich in Gösgen oder Leibstadt. Ein Mini-Atomreaktor an der ETH Lausanne machts möglich – einer der letzten Schulungsreaktoren Europas, den man sogar betreten kann.

Maximal 100 Watt Wärmeleistung darf der Crocus-Reaktor machen. «Das ist etwa soviel, wie eine Person an Wärme abstrahlt» sagt Oskari Pakari, Wissenschaftler am Labor für Reaktorphysik und Systemverhalten der EPFL. 

Physiker Oskari Pakari vor der 1.5 Meter dicken Betontür, dem Zugang zum Crocus
Legende: Der Eingang zum Mini-Atomreaktor an der ETH Lausanne Physiker Oskari Pakari vor der 1.5 Meter dicken Betontür, dem Zugang zum Crocus SRF

Es reiche für eine Glühbirne, hätte man früher gesagt. Strom produziert er allerdings nicht, der Mini-Reaktor, es fehlen Dampfkreislauf und Turbinen. Alles, was der Crocus kann, ist aus Atomspaltungen Wärme produzieren. 

Warum Wärme?

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Atomspaltungen setzen grosse Mengen an Energie frei. Sie sind nur möglich bei einigen grossen und schweren Atomen, wie z.B. Thorium, Uran oder Plutonium. Wird ein Atom in zwei etwa gleich grosse Teile gespalten, fliegen diese mit hoher Geschwindigkeit voneinander weg. Sie werden aber in ihrer Umgebung gleich wieder von anderen Atomen abgebremst, die ihnen im Weg sind. Dieses Abbremsen erzeugt den Grossteil der Wärme, die frei wird im Reaktor (ein viel kleinerer Teil ergibt sich noch aus diversen kleineren Fragmenten wie Neutronen und Zerfallsprozessen).

 

Wie richtig

Und doch ist das schon viel: Denn grundsätzlich funktioniert der Crocus Reaktor gleich wie ein grosser. Die Zutaten für eine kontrollierte Kernspaltung sind alle da: Uran-Brennstäbe, Steuerstäbe und Wasser. Bringt man diese drei in der richtigen Anordnung zusammen, gehen die Kernspaltungen los.

Abschirmung braucht Platz

«Wenn der Reaktor nicht läuft, kann man gefahrlos hineingehen», sagt Physiker Oskari Pakari. Weil nur wenige Kernspaltungen gemacht werden, ist dies möglich. Geht er aber in Betrieb, wird die Strahlung gefährlich. Der Reaktor ist deshalb auch mit einer 1,5 Meter dicken Betonwand abgeschirmt. Es braucht also eine kleine Halle für den Crocus und dazu einen Kommandoraum.

Mit dem Joystick

Ein Reaktor wird nicht einfach angestellt, er wird «gefahren». Pakari führt vor, wie das geht. Als erstes, braucht es Wasser, das in das kleine Becken gepumpt wird, das den Reaktorkern umgibt. «Es ist ein sogenannter Leichtwasser-Reaktor. Das heisst, wir haben hier normales Wasser drin, das die Kettenreaktion des Urans erst ermöglicht», sagt Pakari. Mit einem kleinen Joystick am Kommandopult kann er das Niveau des Wassers im Reaktorkern auf einen zehntel Millimeter genau steuern. Und genau so wird der Reaktor gefahren: Durch die Regulierung des Wasserniveaus.

Warum Wasser? Etwas Physik

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Das meist verwendete Spaltmaterial ist Uran. Das ist ein Metall mit sehr grossen Atomkernen, die deshalb auch nicht besonders stabil sind. Es braucht darum nur einen «Schubs» und ein Uran-Atom kann so in zwei etwa halb so grosse Teile zerfallen – und gibt dabei viel Energie ab. Der «Schubs» muss aber schon sehr gezielt sein. Es braucht dazu Neutronen, das sind kleine Bausteine aus Atomkernen. Beschiesst man Uran mit Neutronen, die die richtige Geschwindigkeit haben (sie dürfen interessanterweise nicht zu schnell sein), dann kann es eine Kernspaltung geben. Ein bestimmter Typ von Uran, das Isotop Uran-235, lässt sich am leichtesten spalten.  
 

Spaltung setzt Neutronen frei 

Wird ein Uran-Atom mit Hilfe eines Neutrons gespalten, setzt diese Spaltung weitere Neutronen frei. Damit können mit diesen Neutronen prinzipiell weitere Uran-Atome gespalten werden. Das hatte man Ende der 1930-er Jahre bereits erkannt. Doch ganz so einfach war die Sache nicht: Die freigesetzten Neutronen waren zu schnell unterwegs, sie rasten einfach davon. Erst wenn man sie genügend abbremst, mit einem sogenannten «Moderator» können diese Neutronen weitere Atome spalten. Und da kommt das Wasser ins Spiel: Wasser ist ein sehr guter Moderator, weil es mit seinen vielen Wasserstoffatomen sehr gut Neutronen abbremsen kann. Neben Uran ist also Wasser eine wichtige Zutat in einem Atomreaktor.  (Anmerkung: Es gibt auch andere Möglichkeiten, die Neutronen zu moderieren, aber Wasser ist der meist eingesetzte Moderator in Kernkraftwerken weltweit).  

Im Crocus machts die Wasserhöhe

Wenn die Brennstäbe zu einem grossen Teil mit Wasser bedeckt sind, geht die Kettenreaktion los, der Reaktor wird sogenannt «kritisch». Kritisch heisst, es findet eine Kettenreaktion statt, die sich selbst erhält und die weder stärker noch schwächer wird. Es gibt also einen «sweetspot», quasi den Ruhepol, wo der Reaktor still vor sich hin seine Atome spaltet und im Gleichgewicht ist. Will man eine gewisse Leistung haben vom Reaktor, muss man zuerst über das Gleichgewicht etwas hinaus, man steigert die Leistung. Sobald man den gewünschten Wert hat, fährt man wieder zurück, um im stabilen, kritischen Betrieb zu sein. 

Fahren eines grossen Reaktors

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Mehr als 4 von 5der grossen Leistungsreaktoren auf der Welt funktionieren ebenfalls mit normalem Wasser («Leichtwasser»). In einem Kernkraftwerk produzieren die Brennstäbe aber, mit Absicht, sehr viel Wärme, um daraus Strom zu machen. Die Hitze die entsteht ist so gross, dass die Reaktorkerne ständig gekühlt werden müssen. Das Wasser darf also nie abgelassen werden und muss auch in einem Kühlkreislauf sein, sonst kommt es rasch zur Kernschmelze. Auch wenn ein Leistungsreaktor abgeschaltet wird, muss er noch über Wochen oder Monate gekühlt werden, wegen der sogenannten Nachzerfallswärme. Die Steuerung erfolgt in den Leichtwasser-moderierten Atomkraftwerken deshalb auch nicht über das Wasserniveau im Reaktorkern, sondern mit Hilfe von Steuerstäben, die parallel zu den Brennstäben eingefahren und ausgefahren werden. Diese können sehr gut Neutronen absorbieren, also die kleinen Teilchen, die die Kernspaltungen auslösen im Uran. Damit kann mit den Steuerstäben die Menge an Neutronen und damit die Menge derKernspaltungen gezielt gesteuert, bzw. «gefahren» werden.

Studiengang beliebter

Jedes Jahr lassen sich in der Schweiz eine Handvoll Studentinnen und Studenten zu Nuklearingenieuren ausbilden. Diese Fachleute brauche es weiterhin, um den Betrieb der Kernanlagen in der Schweiz sicherzustellen. Gleichzeitig wittert die Branche aber auch Morgenluft, wegen der aktuellen Diskussion ums Klima und möglichst CO₂-armem Strom. «Für den nächsten Studiengang haben sich rund 30 Leute angemeldet, das sind so viele wie schon länger nicht mehr», sagt Pakari. Das Interesse steige – und Pakarifreut sich schon jetzt darauf, den nächsten Studenten den kleinen Reaktor zu zeigen und sie daran auszubilden. 

Wissenschaftsmagazin, 28.07.23, 12:40 Uhr

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