An Weihnachten, 25. Dezember, spätabends, lässt sich der Ich-Erzähler Édouard in den Strassen von Paris zufällig auf ein Gespräch mit dem algerischen Immigranten Reda ein und gibt ihm Unterkunft in seiner Wohnung. Als er am nächsten Morgen feststellt, dass ihm iPad und iPhone fehlen und er den Gast mit dieser Tatsache konfrontiert, eskaliert die Situation: Reda vergewaltigt und stranguliert den jungen Franzosen und flieht.
Minutiös rekapituliert Édouard Louis die Ereignisse jener Nacht und schildert, wie ihn diese existentielle Erfahrung geprägt hat. Selbstkritisch geht er dabei auch eigenen rassistischen Gefühlen auf den Grund: Soll er Reda tatsächlich bei der Polizei anzeigen und damit dessen Zukunft ruinieren?
Édouard Louis beweist mit diesem sensiblen, eindringlichen Roman, dass es möglich ist, ohne Voyeurismus über Gewalt und Missbrauch zu schreiben – dank einer sorgfältigen, hochliterarischen Sprache.
Luzia Stettler hat Édouard Louis zum Interview getroffen.
Buchhinweis:
Édouard Louis. Im Herzen der Gewalt. Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel. S. Fischer, 2017.